Handlung
Eine florentinische Tragödie
Simone, ein florentinischer Kaufmann, kommt von einer Geschäftsreise zurück. Er macht sich Sorgen, weil die Reise erfolglos war und er nur wenig verkauft hat. Bei seiner Frau Bianca ist ein Besucher, den Simone nicht kennt: Guido Bardi, Prinz von Florenz – Biancas Liebhaber.
Simone gibt sich gastfreundlich und bietet Guido edle Gewänder zum Kauf an, worauf der Prinz mit demonstrativem Hochmut reagiert: Er kündigt gleichgültig an, am nächsten Tag seinen Kämmerer zu schicken; dieser soll Simone erheblich mehr bezahlen, als er verlangt hat. Auch sonst zeigt sich Guido betont uninteressiert an Simones Bemühungen, mit ihm ins Gespräch zu kommen. Simone stellt Fragen zu den Märkten, zu Gerüchten über Preisverfall durch konkurrierende Händler und zu einem möglichen Krieg – Dinge, die ihn beunruhigen und über die der Prinz als Sohn des Herrschers vielleicht mehr wissen könnte. Auf nichts davon geht Guido ein und betont stattdessen immer offener sein Interesse an Bianca.
Zwischen Simone und Bianca herrscht Kälte, sie begegnet ihm abweisend und feindselig. Er wahrt die Fassade und bietet Guido Wein an, doch dieser reagiert weiterhin überheblich und teilt schliesslich mit, dass er nun gehen und morgen zu Bianca wiederkommen werde.
Die angespannte Lage spitzt sich zu: Simone fordert Guido zum Kampf, Bianca stachelt Guido an, ihren Mann zu töten. Doch es kommt anders…
Bianca und Simone stehen sich plötzlich neu gegenüber: «Warum hast du mir nicht gesagt, dass du so stark?», fragt sie. Er antwortet: «Warum hast du mir nicht gesagt, dass du so schön?»
L'Heure espagnole
Eine Uhrmacherei in Toledo: Der Mauleseltreiber Ramiro bringt eine defekte Uhr in den Laden des Uhrmachers Torquemada. Er soll dort warten, weil Torquemada für eine Stunde fort muss, um die städtischen Uhren zu justieren.
Seiner Frau Concepción ist Ramiros Anwesenheit jedoch gar nicht recht, denn sie erwartet ihren Liebhaber Gonzalve. Um Ramiro aus dem Weg zu haben, bittet sie ihn, eine grosse Standuhr nach oben in ihr Schlafzimmer zu tragen – und wenig später wieder hinunter. Ramiro freut sich, dass ihn diese charmante Frau mit Aufgaben beschäftigt und geht bereitwillig darauf ein, immer wieder Uhren nach oben und unten zu tragen.
Concepción bringt Gonzalve dazu, sich in einer der Uhren zu verstecken, die Ramiro nichtsahnend ebenfalls in ihr Schlafzimmer trägt. Gonzalve, der schon bei seiner Ankunft nur selbstverliebte Gedichte rezitiert, nutzt auch im Schlafzimmer die Zeit nicht nach Concepcións Wunsch. Sie lässt ihn mitsamt Uhr wieder von Ramiro nach unten tragen.
Ein weiterer Liebeskandidat ist der Bankier Don Iñigo, der Torquemadas Abwesenheit abgewartet hat, um sich Concepción zu nähern. Auch er versteckt sich in einer Standuhr und bekommt seine Chance, als der arglose Ramiro nun diese Uhr ins Schlafzimmer bringt. Doch Don Iñigo ist beleibt und kann sich nicht aus dem Gehäuse befreien. So bittet Concepción Ramiro, auch diese Uhr wieder herunterzubringen. Sie ist verärgert, dass ihre Ehemannfreie Stunde so ungenutzt vergeht. Aber sie hat längst bemerkt, wie freundlich und kräftig Ramiro ist. Kurz entschlossen nimmt sie ihn mit in ihr Schlafzimmer - ohne Uhr.
Als Torquemada wiederkommt, trifft er Gonzalve und Don Iñigo im Laden an. Iñigo sitzt unverändert in «seiner» Standuhr fest und wird mit vereinten Kräften herausgezogen. Torquemada nutzt die Gelegenheit, den beiden vermeintlich uhrenbegeisterten Herren je eine Standuhr zu verkaufen. Von nun an soll Ramiro jeden Morgen Concepción die Uhrzeit mitteilen.
Weitere Informationen
Dauer: ca. 2 Stunden 10 Minuten inkl. Pause
Altersempfehlung: 14+
Eine florentinische Tragödie
Richard Flury
Oper in einem Akt
Text von Oscar Wilde, in der Übersetzung von Max Meyerfeld
Deutsch gesungen mit Übertiteln d/f
Uraufführung 09.04.1929, Stadttheater Solothurn
Reduzierte Orchesterfassung von Paul Mann
L’Heure espagnole (Die spanische Stunde)
Maurice Ravel
Comédie musicale in einem Akt
Libretto von Franc-Nohain
Französisch gesungen mit Übertiteln d/f
Uraufführung 19.05.1911, Opéra-Comique, Paris
Version für Kammerorchester von Klaus Simon

«Breite Pinselstriche, engmaschige Netze»
Dirigent Paul Mann über den Doppelabend mit Flury und Ravel
Besetzung
Besetzung
Musikalische Leitung Paul Mann
Inszenierung Anna Magdalena Fitzi
Bühnenbild und Kostüme Verena Hemmerlein
Lichtgestaltung Mario Bösemann
Choreographische Mitarbeit Damien Liger
Dramaturgie Meike Lieser
Regieassistenz und lnspizienz
Larissa Copetti-Campi | Damien Liger
Korrepetition Francis Benichou | Riccardo Fiscato
Kostüm- & Bühnenbildhospitanz Nicolas Hartmann
Eine florentinische Tragödie
Bianca Rebekka Maeder
Simone Martin Achrainer
Guido Bardi Martin Mairinger
L’Heure espagnole
Concepción Josy Santos
Ramiro Martin Achrainer
Gonzalve Martin Mairinger
Don Iñigo Gomez Flurin Caduff
Torquemada Konstantin Nazlamov
Orchester Sinfonieorchester Biel Solothurn TOBS!
Technik
Technik
Technischer Direktor Günter Gruber
Leitung Ausstattung und Werkstätten Vazul Matusz
Leitung Schneiderei Gabriele Gröbel
Technischer Leiter Adrian Kocher
Schreinerei Simon Kleinwechter | Steven McIntosh | Raphael Schärer
Malsaal Daniel Eymann (Leitung) | Julian Scherrer
Dekorationsabteilung Ursula Gutzwiller
Maske und Frisuren Oper Sandra Widmer (Leitung) | Miriam Krähenbühl
Requisiten Sara Fichera (Einrichtung) | Sara Fichera | Arno Jäger (Vorstellungen)
Schneiderei Natalie Zürcher | Catherine Blumer (Gewandmeisterinnen Damen) | Sarah Stock | Janine Bürdel (Gewandmeisterinnen Herren) | Christine Wassmer (Admin. Stellvertreterin) | Katrin Humbert / Anne Jean-Petit-Matile (Mutterschaftsvertretung) | Dominique Zwygart
Ankleiderinnen Lara Studer | Museng Fischer | Pascale Berlincourt | Verena Graber
Bühnenmeister Biel Samuele D'Amico
Bühnenmeister Solothurn Rémy Zenger
Beleuchtungsmeister Biel Mario Bösemann
Technische Einrichtung Antoine Camuzet
Ton und Video Alex Wittwer, Tobias Zürcher
und das Technik-Team TOBS!
Leitung Beleuchtungsstatisterie Michèle Péquegnat
Übertitel Stephan Ruch
Übertitelinspizienz Valentina Bättig, Ruben Monteiro Pedro, Stephan Ruch
Die Ausstattung wurde in den eigenen Werkstätten hergestellt.
Bereitstellung Schmuck: Bastian Wigger, Laura Nick
Eine florentinische Tragödie / L'Heure espangole - Auf den Punkt gebracht
Hinweis: Diese Aufnahme entstand während einer Probe in Probenkostümen.
Richard Flury – ein Solothurner Komponist
Ein Leben lang war Richard Flury (1896–1967) eng mit seiner Heimatregion Solothurn verbunden. Vielleicht ist das der Grund, warum der in Biberist geborene Musiker nie internationale Bekanntheit erlangte. Dabei galt er schon zu Lebzeiten als anerkannte Stimme der Schweizer Musik: Seine Werke fanden Beachtung bei namhaften Orchestern und zahlreichen musikalischen Grössen wie Wilhelm Backhaus, Pau Casals, Walter Gieseking oder Richard Strauss, die sich mit seinem Schaffen auseinandersetzten. Auch die Kritik würdigte immer wieder seine ausdrucksstarke Tonsprache und seine beeindruckende stilistische Eigenständigkeit.
Flury genoss eine umfassende Ausbildung: Geisteswissenschaftliche und musikalische Studien führten ihn nach Bern, Basel und Genf zu namhaften Lehrern wie Hans Huber, Joseph Lauber oder Felix Weingartner. Den letzten Schliff als Komponist erhielt er in Wien, wo er bei Joseph Marx seine künstlerische Handschrift verfeinerte. Nach seinem Studienabschluss kehrte Flury nach Solothurn zurück, wo er Violine an der Kantonsschule unterrichtete. Über drei Jahrzehnte hinweg leitete er das Stadtorchester. Als Dirigent war er auch für viele andere Klangkörper der Region tätig sowie regelmässig für das Radioorchester im Tessin (Orchestra della Radio Svizzera Italiana). Zeitgleich war er ein überaus produktiver Komponist und hinterliess ein beeindruckend umfangreiches Oeuvre. Es umfasst fünf Sinfonien, vier Opern, dazu Ballette, Konzerte, Kammermusik, Chorliteratur, Lieder und Klavierwerke. Viele dieser Werke sind in jüngerer Zeit durch Neuaufnahmen wieder einem breiteren Publikum zugänglich gemacht worden.
Die Musik Flurys ist stark spätromantisch geprägt, wobei einzelne Passagen erkennen lassen, dass ihn moderne Entwicklungen durchaus interessierten. Aber er blieb der Tonalität eng verbunden und reizte deren Möglichkeiten mit phantasievoller Harmonik und feinfühliger Orchestration aus.
«Eine florentinische Tragödie» war Flurys erste Oper und entstand 1926–28. Zugrunde liegt ihr das gleichnamige Theaterstück von Oscar Wilde, posthum uraufgeführt 1906, das schon mehrfach das Interesse von Komponisten geweckt hatte und u.a. von Alexander von Zemlinsky vertont worden war. Auf Basis derselben deutschen Übersetzung (Max Meyerfeld) schuf Flury ein intensives musikalisches Kammerspiel, das am 9. April 1929 durch das damalige Städtebundtheater Biel Solothurn zur Uraufführung gebracht wurde.
Die Reaktionen waren begeistert. Kritiker lobten die «Partitur voll erlesener Schönheit» (Neue Zürcher Zeitung) ebenso wie das «erschütternde Seelengemälde neuer Kunst» (Berner Tagblatt).
Die jetzige Neuproduktion der «Florentinischen Tragödie» lädt dazu ein, ein fast vergessenes Kapitel der Schweizer Operngeschichte neu zu entdecken.
1 – Rebekka Maeder, Martin Mairinger, Martin Achrainer
2 – Rebekka Maeder, Martin Mairinger, Martin Achrainer
3 – Rebekka Maeder, Martin Achrainer, Martin Mairinger
4 – Rebekka Maeder, Martin Mairinger, Martin Achrainer
Eine florentinische Tragödie © Joel Schweizer & Konstantin Nazlamov
Maurice Ravel – Präzision mit Augenzwinkern
Maurice Ravel (1875–1937), Sohn eines Schweizer Vaters und einer basko-iberischen Mutter, wurde im französischen Ciboure geboren. Schon früh war er fasziniert von mechanischer Präzision – ein Interesse, das sich in seinem detailversessenen Kompositionsstil und seiner Vorliebe für exakt kalkulierte musikalische Abläufe widerspiegelt.
Ab 1889 studierte Ravel am Pariser Conservatoire, unter anderem bei Gabriel Fauré, und entwickelte früh eine eigene künstlerische Handschrift: Stilistische Klarheit, raffinierte Instrumentation und ein untrügliches Gespür für konstruktive Balance gehörten zu seinen Markenzeichen.
Sein bekanntestes Werk ist zweifellos der «Boléro», eine musikalische Steigerung nach Art eines Uhrwerks – fast ohne thematische Entwicklung, aber von hypnotischer Kraft. Weniger bekannt ist hingegen «L’Heure espagnole», Ravels erste Oper. Ironischerweise beträgt ihre Spieldauer weniger als eine Stunde, dennoch ist es eins seiner längsten Werke.
Ursprünglich wollte Ravel eine musikalische Studie über das Ticken mehrerer Uhren in unterschiedlichen Tempi schreiben, eine «Symphonie horlogère» (eine Art «Sinfonie des Uhrwerks»). Diese Idee arbeitete er später auf humorvolle Weise in seine Oper ein: Entstanden ist die Geschichte einer Uhrmachersgattin und ihrer beiden Liebhaber, die sich nacheinander in Uhrgehäusen verstecken – bis ein unerwarteter Dritter das Rennen macht. Die kurzweilige «comédie musicale» im Geist der Opera buffa entlarvt mit feinem Witz bürgerliche Moral, Männlichkeitsklischees und die Mechanik zwischenmenschlicher Beziehungen.
Trotz seines Witzes hatte es das Werk zunächst schwer und wurde als «pornografisch» kritisiert. Eine grosse Rolle spielte dabei der Text mit seinen zahlreichen zweideutigen Anspielungen. Eine andere, vielleicht nicht unwesentliche Rolle könnte auch die Tatsache gespielt haben, dass die seitensprung-hungrige Ehefrau für ihr Treiben von den Autoren keineswegs verurteilt wird, geschweige denn den opernüblichen Bühnentod sterben muss. Am 19. Mai 1911 konnte schliesslich die Uraufführung an der Pariser Opéra-Comique stattfinden. Heute gehört «L’Heure espagnole» zwar nicht zum festen Repertoire, wird aber ab und zu, mit grossem Vergnügen, auf die Bühne gebracht – nicht zuletzt wegen der brillanten Orchesterbehandlung, die das Stück zu einem Meisterwerk musikalischer Feinarbeit macht.
Eine florentinische Tragödie / L'Heure espagnole - Meet the cast
Hinweis: Diese Aufnahme entstand während einer Probe in Probenkostümen.
Oscar Wilde
Oscar Wilde
Der irische Schriftsteller, Dichter und Dramatiker Oscar Wilde (1854–1900) wurde vor allem durch seine scharfzüngigen gesellschaftlichen Satiren bekannt. Zu seinen berühmtesten Werken zählen der Roman «The Picture of Dorian Gray» und die Komödie «The Importance of Being Earnest». 1877 verbrachte Wilde einige Zeit in Florenz, wo er eine leidenschaftliche Affäre hatte. Dieses Erlebnis floss möglicherweise in sein fragmentarisches Drama «A Florentine Tragedy» ein, das wohl 1893-94 entstand und sich mit den Themen Liebe, Eifersucht und Verrat auseinandersetzt. Die Uraufführung fand posthum erst 1906 statt.
Neben seinen literarischen Erfolgen war Wilde auch als Gesellschaftskritiker und Ästhetiker eine prägende Figur; unzählige Zitate von ihm sind auch heute noch Bonmots. Trotz seiner grossen Erfolge erlebte er jedoch einen dramatischen Fall: 1895 wurde er wegen homosexueller Beziehungen und Umgang mit männlichen Prostituierten zu zwei Jahren Zwangsarbeit verurteilt. Nach seiner Entlassung zog er sich nach Paris zurück, wo er 1900 starb.
Franc-Nohain
Franc-Nohain
Der 1872 in Paris geborene Rechtsanwalt Paul-Jean Toulet war bereits unter seinem Geburtsnamen in die literarische Welt eingetreten, bevor er den Künstlernamen Franc-Nohain annahm. Als Dramatiker und Schriftsteller wurde er für seine humorvollen und oft satirischen Werke bekannt, die gesellschaftliche Themen mit einer Mischung aus Witz und scharfsinniger Kritik behandelten. Sein Theaterstück «L’Heure espagnole», verfasst 1907, ist eine humorvolle Komödie, die mit brillanter sprachlicher Zweideutigkeit den Versuch einer verheirateten Frau schildert, ein erotisches Abenteuer zu erleben. Das Stück erregte die Aufmerksamkeit von Maurice Ravel, der es als Grundlage für seine gleichnamige musikalische Komödie nutzte. Franc-Nohain selbst arbeitete es zum Libretto um.
Der Autor starb 1934 in Paris. Auch wenn seine Popularität nie die seiner Zeitgenossen Georges Feydeau oder Jean Giraudoux erreichte, bleibt Franc-Nohains Beitrag zur französischen Theaterlandschaft vor allem durch «L’Heure espagnole» lebendig.
Gedanken zum musikalischen Doppelabend
Zwei Kurzopern, die unterschiedlicher nicht sein könnten, die eine spannungsgeladen, lyrisch und hochemotional, die andere raffiniert und präzise gebaut, voller Witz und Fantasie.
Die Vorlage für Richard Flurys eindringliche gleichnamige Oper lieferte Oscar Wilde mit seinem kryptischen Fragment «Eine florentinische Tragödie», Maurice Ravels «L’Heure espagnole» erfindet eine Welt aus Rhythmen und Klängen für eine Komödie von Franc-Nohain.
Richard Flury gelingt ein Kammerspiel, das nicht von ungefähr in der Renaissance angesiedelt ist. Einer Zeit, in der man sich rückbesinnt auf die Natur der Dinge, die Individualität und Freiheit des Menschen.
Flury komponiert daraus ein atemloses, dichtes «huis-clos», Psychogramme eines in den Wahnsinn Getriebenen, einer rauschhaft Verliebten und eines all seiner Trümpfe bewussten Prinzen, ausweglos dem Gang ihres Schicksals ausgeliefert.
Ganz im Gegensatz dazu sucht sich Ravel für seine erste Oper eine Komödie aus, einen Spass in Variationen über die unzähligen Anzüglichkeiten und sexuellen Doppeldeutigkeiten im französischen Sprachgebrauch im Zusammenhang mit Uhren. Eine Art französische Commedia dell’arte, mit typisierten Figuren, oder eher «Automaten», wie Ravel sie bezeichnet, denn Menschen.
Beiden Opern gemein sind jeweils eine Frau und deren Liebhaber, die Leidenschaft und der Betrug, und damit das Thema der Liebe, der Sehnsucht und der Freiheit, wenn auch unterschiedlich bewertet, erlebt und betrachtet.
Im Vordergrund dieses Doppelabends stehen für mich die beiden Künstler und Zeitgenossen Oscar Wilde und Maurice Ravel. Beiden ist ein grosser Freiheitsdrang gemein, die Suche nach dem Schönen und der Freude, der Humor, die Ironie, und ein Hang zur Selbstdarstellung, verbunden mit einem besonders eigenwilligen und hohen ästhetischen Anspruch – bei Wilde sehr exzentrisch, bei Ravel eher introvertiert.
Die Renaissance steht für diese Werte, das Wissen und die Philosophie der Antike. Sie bildet die gedankliche und räumliche Grundlage der «Florentinischen Tragödie».
Wilde verweist damit auf das, was er sich für seine Zeit wünscht: einen neuen Aufbruch des freien Geistes – nachdem ein solcher in der Renaissance durch die katholische Kirche und den Absolutismus unterdrückt worden war – sowie die Befreiung von einengender Moral, gesellschaftlichen Konventionen und Machtstrukturen.
Ravel erlebt diese Freiheit zunächst, nutzt und verteidigt sie. Er schliesst sich mit gleich-gesinnten Musikern, Schriftstellern und Malern zu Künstlergemeinschaften zusammen, die einander ermutigen und inspirieren, zu wagen, jenseits der Konventionen zu erfinden, Kunst um der Kunst willen zu schaffen, neugierig, leidenschaftlich, frei. Viel nie Dagewesenes wird in dieser Zeit möglich – technisch, sozial, gesellschaftlich und politisch. Dem neuen Erfindungsgeist scheinen kaum Grenzen gesetzt. Die Welt wird kosmopolitischer: Man fährt Auto, fliegt, fotografiert und filmt. Einflüsse anderer Kulturen bilden sich in der Kunst ab, man tanzt öffentlich, liebt gleichgeschlechtlich und polygam. Ravel liebt den Fortschritt, das Neue und das Fremde.
Doch auch dieser Aufbruch ist nicht von Dauer. Die Mächte sind gierig, die Politik übergriffig, grössenwahnsinnig und unersättlich, der Mensch eitel und gewaltbereit – der Erste Weltkrieg steht vor der Tür. Auch für Ravel bedeutet dieser Krieg eine Zäsur: Die Leichtigkeit geht verloren, er selbst zieht in den Krieg, erlebt Gewalt und Leid.
Heute stehen wir, bei allem Fortschritt und trotz aller humanitären Errungenschaften, erneut an der Schwelle zu einem möglichen, alles überschattenden Krieg, der jetzt schon die Ressourcen frisst, Kultur und Bildung bedroht und die Menschen wieder fanatisch, blind und kriegslüstern werden lässt.
Man steht sprach- und fassungslos davor.
Wieder wären es die Ideale der alten Griechen, die hier wegweisend sein könnten: die Demut, der Respekt vor dem Einzelnen, das Leben im Einklang mit der Natur, die Liebe.
Sie könnten Hoffnung geben.
Davon möchte ich erzählen.
Der Prinz bei Oscar Wilde findet sein Vorbild im englischen Thronfolger, genannt «Bertie», dem späteren König Edward VII., einem unermüdlichen Schürzenjäger, bestens bekannt auch im Prostituiertenmilieu. Eine seiner Geliebten war Lillie Langtry, eine enge Freundin von Oscar Wilde, die später auch in dessen Stücken auftrat. Was die Kirche verteufelte und dem «kleinen Mann» als Verbrechen und Sünde vorhielt, wurde im Adel und an den Höfen geduldet und teilweise sogar gefördert.
In einer solchen Welt stehen sich bei Flury/Wilde zwei Männer gegenüber: Simone, der um seine Existenz besorgte Soldat, der sein Leben hingibt, und Guido, der Verführer, Kind der Macht und Überlegenheit, dem Bianca verfällt, sich ergibt und offen, modern ihrer Lust folgt. Simone ist im Krieg, er erlebt ihn selbst, physisch, was wir sehen, ist seine Phantasie.
Was folgt, sind Überlebende in den Trümmern des Krieges in der Komödie von Franc-Nohain. Alles ist zerfallen, verloren, vereinzelt. In dieser Leere erklingt Ravels zaubernde Musik der Mechanik, der Einsamkeit. Die Liebe ist Sehnsucht, doch die Menschen sind versehrt, Wesen in einer verletzbaren wunderbaren Welt, hungrig nach Wärme, berührend in ihrer Hoffnung.
Die Frauen stehen für mich für die Liebe und damit für die Hoffnung auf einen anderen Weg.
Stefan Zweig hat geschrieben:
«Man muss den Frieden beginnen, wie man den Krieg beginnt.»
Mich zu konfrontieren und Stellung zu nehmen, mich nicht gleichgültig zu verhalten, ist mein Beitrag dazu.
Mit Dank für Ihr Interesse,
Anna Magdalena Fitzi
Für das viele geduldige Mitdenken und Teilen meiner offenen Fragen möchte ich mich von ganzem Herzen bedanken bei Mario Gremlich.



1 – Martin Achrainer, Konstantin Nazlamov, Josy Santos
2 – Josy Santos, Martin Achrainer
3 – Josy Santos, Martin Mairinger
4 – Josy Santos, Flurin Caduff
5 – Martin Mairinger, Josy Santos
6 – Flurin Caduff, Konstantin Nazlamov, Martin Mairinger
L'Heure espagnole © Joel Schweizer
«Au Soldat, mort pour rien»
Anne Janssens
«Sans se préoccuper de tes aspirations,
Sans te demander ni ton avis, ni ton choix,
Des êtres sans scrupule et sans compréhension
T’ont envoyé au front où toujours tu guerroies.
Tes amis et famille attendront vainement
Ton prompt retour et la pensée de te revoir
Sain et sauf les poursuit avec acharnement
Et même le temps ne pourra les faire choir.
Au fond de ton cœur tu sais que ta fiancée
Que tu aimes et qui t’aime souhaiterait
Te serrer dans ses bras, tendrement t’embrasser,
Te dire en secret les milliers de bienfaits
Dont elle espérait t’entourer ardemment.
Mais toi tu restes là, tu rêves sourdement
A tous ces moments forts que tu ne connaîtras
Sans doute plus jamais, ou bien dans l’au-delà.
La course aux armements, les bombes atomiques,
Maudites guerres de religions, bataille
Pour le pétrole où quête absurde et despotique
De tyrans au cœur de pierre, toi valetaille
De la société à leurs yeux, tu as le droit,
La gloire et l’honneur de sacrifier ta vie,
Ton avenir et tes espoirs pour un pays
Que tu chéris et en lequel tu avais foi.
Mais le glas sonnera la fin des illusions
Et ouvrira la porte à un monde meilleur
Où peut-être enfin tu trouveras le bonheur
Et rejoindras ceux qui furent aussi de pions.
Quand au milieu du combat tu recevras
Un coup fatal, en plein cœur ou bien dans la tête,
Tu pourras monter au ciel et faire la fête
Du haut de ce monde vil que tu désertas.
Nul ne se souviendra de ce jeune bleu
Victime de l’état, soldat méticuleux
Corvéable à merci, jouet d’esprits mesquins,
D’hommes nus de pitié, et qui mourut pour rien!»
PAROLES DES JEUNES; Edition Nea
«An den Soldaten, gestorben für nichts»
Anne Janssens
(Übersetzung)
«Ohne sich um deine Sehnsüchte zu kümmern,
Ohne dich nach deiner Meinung oder Wahl zu fragen,
Schickten Wesen ohne Skrupel oder Mitgefühl
Dich an die Front, wo du endlos kämpfst.
Vergeblich werden deine Freunde und deine Familie
Auf deine baldige Rückkehr warten, und der Gedanke,
Dich sicher und unversehrt wiederzusehen, verfolgt sie unerbittlich,
Selbst die Zeit vermag sie nicht zum Aufgeben zu bringen.
Tief im Herzen weisst du, dass deine Braut,
Die du liebst, die dich liebt, nichts sehnlicher wünscht,
Als dich in die Arme zu schliessen und zärtlich zu küssen,
Dir insgeheim von tausend Zärtlichkeiten zu erzählen,
In brennender Hoffnung, dich so zu umfangen.
Doch du bleibst dort, träumst dumpf versunken
Von all den tiefen Momenten, die du zweifellos
Nie mehr erleben wirst, es sei denn im Jenseits.
Wettrüsten, Atombomben,
Verfluchte Religionskriege, Schlachten
Um Öl, oder absurder, despotischer Wahn
Von Tyrannen mit Herzen aus Stein, und du, der Bodensatz
Der Gesellschaft für sie, du hast das Recht,
Den Ruhm und die Ehre, dein Leben zu opfern,
Deine Zukunft und deine Hoffnungen für ein Land,
Das du geliebt und an das du geglaubt hast.
Doch das Totengeläut wird das Ende der Illusionen einläuten
Und die Tür öffnen zu einer besseren Welt,
Wo du vielleicht endlich das Glück finden wirst
Und jene wiedertriffst, die auch nur Spielsteine waren.
Wenn du mitten im Kampf den tödlichen Schlag empfängst,
Mitten ins Herz oder vielleicht in den Kopf,
Kannst du zum Himmel aufsteigen und jubeln,
Hoch über der schlechten Welt, die du verlassen hast.
Niemand wird sich erinnern an den blutjungen Menschen,
Opfer des Staates, den pflichtgetreuen Soldaten,
Immer verfügbar, Spielball niederer Geister,
Erbarmungsloser Menschen, gestorben für nichts!»
aus PAROLES DES JEUNES, Verlag Nea
Trägerschaft
Trägerschaft
Stadt Biel
Stadt Solothurn (mit Unterstützung von Kanton und Gemeinden der Repla Solothurn)
Kanton Bern
Gemeindeverband Kulturförderung Biel/Bienne-Seeland-Berner Jura
Impressum
Impressum
Aufführungsrechte:
Richard Flury «Eine florentinische Tragödie»: Richard Flury-Stiftung Biberist
Maurice Ravel «L’Heure espagnole», Version für Kammerorchester: Schott Music GmbH & Co. KG Mainz
Herausgeber:
Theater Orchester Biel Solothurn TOBS!
www.tobs.ch
Saison 2024/25
Programm Nr. 5
Intendant: Dieter Kaegi
Texte und Redaktion: Meike Lieser
Übersetzung: Isabelle Wäber (f), Meike Lieser (Gedicht, d)
Lektorat: Béatrice Schmidt
Layout: Aline Boder
Gestaltung: Republica AG
Fotos der Klavier- und Orchesterhauptprobe: Konstantin Nazlamov, Joel Schweizer
Fotoauswahl: TOBS!
Stillleben: Hermann Fitzi, Florenz, 2002
April 2025
Fotografieren, Filmen sowie Tonaufnahmen sind während der Vorstellung aus urheberrechtlichen Gründen nicht gestattet.
Die Veranstaltungsplakate können an der Theaterkasse erworben werden.
Wir freuen uns über Ihre Rückmeldung zur Inszenierung: direktion[at]tobs.ch
Textnachweise:
Gedicht «Au Soldat, mort pour rien» von Anne Janssens, aus «Paroles des jeunes», Edition Nea
Alle anderen Texte sind Originalbeiträge für dieses Programmheft. Das Interview mit Paul Mann führte Meike Lieser am 2. April 2025 in englischer Sprache.
Quellen:
richardflury.ch
Richard Flury: «Lebenserinnerungen», Verlag Habegger, Derendingen, 1950
Urs Joseph Flury: Richard Flury, Textbeitrag im Begleitheft der Aufnahme «Eine florentinische Tragödie», Toccata Classics, London, 2019
«Eine florentinische Tragödie», Dokumentationsheft der Richard Flury-Stiftung Biberist
www.br-klassik.de/aktuell/news-kritik/maurice-ravel-150-jahre-100.html
www.forumopera.com/v1/opera-n15b/ravel/heure_espagnole.htm
Theo Hirsbrunner: Maurice Ravel und seine Zeit, Laaber Verlag, 2014
Nigel Simeone: Maurice Ravel, in: Ravel – The Complete Edition, © Decca (Universal Mu-sic) 2012
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