Interviews

«Auf der Bühne sein und nicht spielen ist immer noch spielen»

Deborah Epstein über ihre Arbeit an «Le nozze di Figaro»

Nach mehreren aufsehenerregenden Schauspielproduktionen ist «Le nozze di Figaro» jetzt deine erste Operninszenierung bei TOBS! Ist die Arbeit mit der Oper anders? 
Den musikalischen Text mit Leben zu füllen, das ist schon eine ganz andere Herausforderung, die Musik treibt permanent voran. Im Sprechtheater kann man sich in aller Ruhe erst mal zurücklehnen, Kaffee trinken und ein Gipfeli dazu essen, bevor man den irgendwann unausweichlichen Schritt auf die Probebühne wagt. Im Sprechtheater bin ich dazu angehalten, in erster Linie eine vertrauensvolle Arbeitsatmosphäre zu schaffen, damit die Spielenden im günstigsten Fall bereit sind, ihr Innerstes freizusetzen, sich uns zu zeigen. Die Oper spielt nach völlig anderen Regeln. Gerne wäre ich schneller, aber bei diesem Rennen gewinnt die Musik jedes Mal. Die Sänger*innen sind sehr schnell in ihrer Auffassung, und sie sind froh, wenn sie wissen, was sie zu spielen haben. Wenn ich in den Bann der Musik gerate, verliere ich leicht den Überblick, worum es überhaupt geht. «Le nozze di Figaro» ist so komplex: es gibt wohl kaum eine genialere Zusammenführung von Dramaturgie und Musik als in dieser Komödie. Welch ein Geschenk, welche Ehre, diese Oper auf die Bühne setzen zu dürfen.

Wie wichtig ist der Text für die Inszenierung?
Ich möchte gern, dass die Rezitative wie das gesprochene Wort behandelt werden, denn so sind sie gemeint. Allerdings liegt auf dem «musikalischen Text», also auf dem, was Mozarts Komposition in jedem Moment ausdrückt, mein Augenmerk. Diese grossartige Musik darf man weder doppeln noch kommentieren. Der innere Zustand der Figuren ist durch die Musik derart zugänglich, so glasklar, darauf darf ich vertrauen. Dem Dirigenten bin ich dankbar, wenn er mich auf Momente hinweist, die ich nicht erkenne, oder mich warnt, wenn ich einem Klischee aufsitze. Nehmen wir als Beispiel den Cherubino, den Armen sehen wir immer in seiner Adoleszenz, seine Hormone dringen aus all seinen Poren, er zittert, er bebt… Dass Cherubino eigentlich auch schon längst ein kleiner Conte ist und auf dem besten Wege, ebenso manipulativ zu werden, ist der viel spannendere Ansatz. Darauf machte mich Sébastien Rouland aufmerksam. Wie gerne erliegt man dem Charme dieser Musik! Der Schmerz, die Brutalität, ja, selbst die Gewalt findet neben aller Trauer, Verlorenheit und Hoffnungslosigkeit statt. Das interessiert mich. Die Missverständnisse, die Faux-Pas, die Irrungen, in denen wir uns wiedererkennen, weil wir nun mal Menschen sind: dieser Dualismus erzeugt Komik. Wir lachen, und wir weinen, weil wir uns in aller Unzulänglichkeit selbst zusehen. 

Welche Rolle spielt die Tatsache, dass das Stück unglaublich bekannt ist und unzählige Male gemacht wurde? Kann man das überhaupt abstreifen?
Da denkt man erst einmal: Das kannst du nicht machen, das ist zu gross, das ist zu heilig. Aber dann ist es doch so, dass wir immer wieder freudig den Gesetzen des Theaters Glauben schenken können. Wir müssen uns immer wieder an unsere Naivität erinnern. Das Wichtigste ist, das dumme Wort «Fehler» zu vergessen. Man muss die Fehler machen wollen, um weiter zu gehen, das Besondere zu erreichen.

Wie sieht das Spiel dann aus?
Von dem Moment an, indem man sich zu spielen entscheidet, spielt man ganz, sei’s mit Zartheit, mit Vehemenz, mit Pathos, um im nächsten Moment das «Spiel» ganz sein zu lassen, so, als hätte man nie gespielt. Natürlich spielt man, wenn man auf der Bühne steht: auf der Bühne sein und nicht spielen ist immer noch spielen. Das ist eine Entwicklung. Wir haben es so angelegt, dass die ganze Belegschaft, also alle unsere Solopartien, erst einmal auf die Bühne gehen, das heisst, zur Arbeit. Dort werden sie vielleicht erst einmal ein bisschen herumstehen, wieder abgehen, und dann fängt die Handlung an. Nach und nach beginnt sich etwas zusammenzuziehen, dringlich zu werden. Zusehends wird es ernster und auch schrecklicher. Jedoch das Augenzwinkern bleibt: wir bleiben einfach immer dabei, Theater zu spielen. Das kann einen mitten ins Herz treffen oder in die Magengrube, plötzlich ist es wieder weg. Aber da war doch was? Psychologismus interessiert mich nicht.  

Jede Figur, egal ob bei Ibsen, Tschechow oder Mozart/Da Ponte macht erst einmal alles. Es ist alles möglich: in diesem Moment das, und im nächsten Moment das Gegenteil. So erratisch und unvorhersehbar, so unlesbar ist jeder Mensch, in einem Moment der Teufel und im nächsten der Engel. Und alles dazwischen.


Deborah Epstein 
Inszenierung
Deborah Epstein absolvierte eine Ballettausbildung in Zürich und Cannes, bevor sie sich ebenfalls in Zürich zur Schauspielerin ausbilden liess. Ihre Engagements führten sie an die Städtischen Bühnen Dortmund, ans Schauspielhaus und ans Theater am Neumarkt Zürich; sie war am Residenztheater in München und am Theater Basel engagiert…

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«Man merkt gar nicht, wie die Zeit vergeht»

Dirigent Sébastien Rouland über Mozarts Meisterwerk

Als Dirigent beherrschst du viele Musikstile, vom Barock bis zur Moderne. Wie interpretierst du Mozart?
Mein Ansatz ist stark vom klassischen Stil inspiriert, mit Anklängen an das Spätbarock. Das Repertoire ist typisch klassizistisch und geht unter anderem auf das Erbe von Haydn zurück. Mozarts Stil ist in sich harmonisch nicht besonders komplex, doch er erfordert eine genaue Beherrschung der Phrasierung, der Interpretation und des theatralischen Stils. Die Nuancen in Mozarts Musik sind oft sehr kontrastreich, und ich lege grossen Wert auf die im Orchesterpart geschriebene Dynamik, was oft vernachlässigt wird. Starke Kontraste erfordern eine gewisse Disziplin. Mozart schreibt mit äusserster Präzision, was er hören will. Es geht also in erster Linie darum, das Geschriebene umzusetzen und dem Stil der Zeit treu zu bleiben. Mit diesem Werk wurde bereits alles getan, und es wäre anmassend zu behaupten, man könne hier etwas Revolutionäres machen. Die wahre Revolution liegt in dem Werk selbst und in seinem immer wieder neuen Zauber.

Ist «Le nozze di Figaro» stilistisch ein modernes Werk für 1786?
Das Bemerkenswerte an Mozart ist, dass er in formaler Hinsicht gar nichts neu erfunden hat. Im Vergleich dazu geht Haydn viel weiter. Dennoch ist Mozart ein Universalgenie; sobald man eines seiner Werke hört, erkennt man sofort seine Handschrift. In Bezug auf Stil und Orchestrierung bleibt alles äusserst klassisch. Aber sein Genie zeigt sich in der Kunst des Musiktheaters, der Melodie sowie der Struktur seiner Werke. 

Vielleicht ist das der Grund, warum er nicht innovativer war?
Er hatte es nicht nötig. Das ist das Aussergewöhnliche.

Mozart war begeistert von der Idee einer «teutschen Oper». Sein letztes Musiktheaterstück vor «Le nozze di Figaro» war «Die Entführung aus dem Serail». Warum kam als nächstes dann doch eine italienische Opera buffa?   
Ich glaube nicht, dass Mozart in seiner künstlerischen Auswahl viel Freiheit hatte. Er musste oft die Möglichkeiten annehmen, die sich ihm boten, auch weil er ständig unter finanziellem Druck stand.

«Le nozze di Figaro» ist recht lang. Trotzdem wird nur wenig gestrichen. Ist das wagemutig?
Die Oper dauert ungefähr drei Stunden, aber das war damals keine ungewöhnliche Länge. Viele zeitgenössische Werke waren deutlich länger! Der Unterschied zwischen Mozart und vielen anderen Komponisten ist, dass seine Werke, unabhängig von ihrer Form oder Länge, so flüssig und selbstverständlich geschrieben sind, dass man gar nicht merkt, wie die Zeit vergeht. Wir haben uns dennoch für einige traditionelle Striche entschieden, um unter drei Stunden Aufführungsdauer zu bleiben: Wie die Bezeichnung schon sagt, kommen die Striche aus einer langen Tradition, welche die Dramaturgie des Werkes respektiert und seine Aussage nicht verfälscht.

Hängt die Interpretation stark von der Inszenierung ab oder hast du feste Vorstellungen von der musikalischen Version?
Ich halte es für wesentlich, immer mit der Regie zusammenzuarbeiten. Die Arbeit mit einem gegenseitigen Gespür des Zuhörens ist immer viel bereichernder und produktiver. Alle müssen den Wunsch haben, ein gemeinsames Ziel zu erreichen, nämlich eine neue Aufführung zu erschaffen. Deborah Epstein und ich arbeiten sehr einträchtig miteinander, sie ist sehr empfänglich für meine Vorschläge und ich bin auch immer bereit, Kompromisse einzugehen, wenn es für das Wohl der Produktion notwendig ist.

Wie ist die Arbeit mit dem musikalischen Team?
Ich bin sehr glücklich, mit dieser Besetzung zu arbeiten, die sowohl erfahrene als auch jüngere Künstlerinnen und Künstler mit vielversprechenden Zukunftsaussichten umfasst. Ich merke, dass sie für meine Vorschläge und meine Sicht auf das Werk empfänglich sind und danach fragen. Sie sind sehr professionell und flexibel.

Das Sinfonieorchester Biel Solothurn TOBS! ist ein bemerkenswertes Ensemble, ich bin sehr interessiert an dem fast kammermusikalischen Ansatz, der sich aus der kleinen Besetzung ergibt. Sie ermöglicht es uns, sehr detailliert insbesondere an den Farben zu arbeiten, was bei einem grösseren Orchester nicht so gut möglich ist.

Hast du eine Lieblingsstelle in «Le nozze di Figaro»?
Es fällt mir schwer, da eine Wahl zu treffen, denn diese Oper ist so perfekt. Wenn ich dennoch wählen müsste, würde ich das Finale des zweiten Aktes nennen aufgrund seiner formalen Perfektion und der aussergewöhnlichen Vielfalt der musikalischen Themen, sowie die allerletzten Momente des Werkes. Aber es gibt nicht viel in «Le nozze di Figaro», das man als überflüssig bezeichnen könnte. Es ist ein absolutes Meisterwerk.


Sébastien Rouland
Musikalische Leitung
Sébastien Rouland ist Generalmusikdirektor am Saarländischen Staatstheater in Saarbrücken, Deutschland. Als ausgebildeter Cellist begeisterte er sich schon früh für das Dirigieren…

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