Handlung
1. Akt
Schottland: Macbeth und Banquo haben für König Duncan einen Sieg errungen. Eine Gruppe von Hexen prophezeit ihnen, Macbeth werde Than von Cawdor und König von Schottland und Banquo sei der Ahnherr künftiger Könige. Kurz darauf verkünden Boten, dass König Duncan Macbeth tatsächlich den Titel des Thans von Cawdor verliehen hat.
Lady Macbeth erfährt durch einen Brief ihres Mannes von den Ereignissen. Sie stachelt seinen Ehrgeiz an und überredet ihn, König Duncan zu töten, damit auch die zweite Prophezeiung schnell in Erfüllung geht. Die Gelegenheit ist günstig: Der König trifft mit grossem Gefolge als Gast bei Macbeth ein. Bei ihm sind auch sein Sohn Malcolm und sein Gefolgsmann Macduff. Macbeth schreckt zunächst vor der Tat zurück, doch schliesslich tötet er König Duncan in der Nacht. Die blutigen Waffen steckt Lady Macbeth den Wachen zu. Am nächsten Morgen entdeckt Macduff den Mord und schlägt Alarm. Alle sind entsetzt und beklagen den Tod des Königs.
2. Akt
Malcolm ist nach der Ermordung seines Vaters ins Ausland geflohen. Nun ist Macbeth König von Schottland. Doch ihn beschäftigt die Prophezeiung, dass Banquos Nachkommen künftig Könige sein werden. Um das zu verhindern, will er Mörder auf Banquo und dessen Sohn Fleance ansetzen, und Lady Macbeth bestärkt ihn in seinem Entschluss. Aber der Plan geht nicht auf: Banquo stirbt, doch Fleance entkommt.
Macbeth und seine Frau veranstalten ein Festessen. Macbeth ist beunruhigt, als einer der Mörder ihm berichtet, dass Banquos Sohn entkommen konnte. Er wird zunehmend von Angst befallen, sieht den Geist von Banquo und verliert die Fassung. Lady Macbeth versucht, mit einem Trinklied die Stimmung zu retten, doch die Gäste werden misstrauisch. Macduff beschliesst, Schottland zu verlassen.
3. Akt
Macbeth will von den Hexen mehr über die Zukunft erfahren und bekommt drei Antworten: Er muss sich vor Macduff hüten; keiner, den eine Frau geboren hat, kann ihm schaden; er bleibt unbesiegbar, bis der Wald von Birnam auf ihn zukommt. Doch er sieht auch Banquos Geist mit zahlreichen gekrönten Nachkommen. Macbeth beschliesst, die Familie des entflohenen Macduff töten zu lassen, um jede Gefahr auszuschalten. Auch diesmal bestärkt ihn Lady Macbeth in seinem Plan.
4. Akt
Im Exil beklagen viele von Macbeth Vertriebene die Notlage ihres Landes: Elend, Gewalt und Tod beherrschen Schottland. Auch Macduff trauert um seine ermordete Familie. Malcolm, der rechtmässige Thronerbe, will den Kampf mit Macbeth aufnehmen und weist seine Anhänger an, sich mit Zweigen des Waldes von Birnam zu tarnen. Er überredet Macduff, sich ihrem Kampf anzuschliessen.
Lady Macbeths Kammerfrau und ihr Arzt beobachten, wie die Lady schlafwandelt. Sie glaubt, blutige Hände zu haben, die sie nicht reinwaschen kann, und verrät im Schlaf ihre Verbrechen. Kurz danach erfährt Macbeth von ihrem Tod, doch er reagiert gleichgültig. Er hat vom bevorstehenden Angriff Malcolms erfahren und dass «der Wald von Birnam sich nähert». Macbeth fühlt sich von den Hexen betrogen und ruft seine Leute zum Kampf.
Macduff stellt Macbeth. Dieser glaubt, unbesiegbar zu sein, da niemand ihm schaden kann, der von einer Frau geboren wurde. Doch Macduff offenbart, dass er aus dem Leib seiner Mutter geschnitten wurde, und tötet Macbeth. Das Volk jubelt ihm als Retter zu, und Malcolm wird zum neuen König gekrönt.
Weitere Informationen
Italienisch gesungen mit Übertiteln in d/f
Dauer: ca. 2 Stunden 45 Minuten inkl. Pause
Altersempfehlung: 14+
Melodramma in vier Akten
Libretto von Francesco Maria Piave
(1. Fassung) mit Ergänzungen von Andrea Maffei (2. Version)
Nach «The Tragedy of Macbeth»
von William Shakespeare
Uraufführung 14.03.1847,
Teatro della Pergola, Florenz
Erstaufführung der 2. Fassung 21.04.1865,
Théâtre Lyrique, Paris (in französischer Sprache)
Besetzung
Besetzung
Musikalische Leitung Franco Trinca
Inszenierung Yves Lenoir
Bühnenbild Bruno de Lavenère
Kostüme Jean-Jacques Delmotte
Chorleitung Valentin Vassilev
Dramaturgie Meike Lieser
Lichtgestaltung Mario Bösemann
Regieassistenz und lnspizienz Damien Liger | Larissa Copetti-Campi
Nachdirigat und Korrepetition Francis Benichou | Riccardo Fiscato
Regiehospitanz Alexis Marsepoil
Musikalische Hospitanz John Richter
Macbeth Leonardo Galeazzi | Michele Govi
Lady Macbeth Serenad Uyar
Banco (Banquo) Changdai Park
Macduff Reinaldo Droz
Malcolm Etienne Anker
Medico (Arzt) Daniel Reumiller
Dama di Lady Macbeth (Kammerfrau der Lady Macbeth) / Apparizione 2 + 3 (Erscheinung 2 + 3) Noabelle Chegaing
Servo (Diener) / Sicario (Mörder) / Apparizione 1 (Erscheinung 1) Mykyta Burtsev
Statisterie TOBS!
Kinderstatisterie TOBS!
Chor Chor TOBS!
Orchester Sinfonieorchester Biel Solothurn TOBS!
Technik
Technik
Technischer Direktor Günter Gruber
Leitung Ausstattung und Werkstätten Vazul Matusz
Leitung Schneiderei Gabriele Gröbel
Technischer Leiter Adrian Kocher
Schreinerei Simon Kleinwechter (Leitung) | Steven McIntosh | Raphael Schärer
Malsaal Daniel Eymann (Leitung) | Julian Scherrer
Dekorationsabteilung Ursula Gutzwiller
Maske und Frisuren Oper Sandra Widmer (Leitung) | Miriam Krähenbühl
Requisiten Sara Fichera (Einrichtung) | Sara Fichera | René Jäger (Vorstellungen)
Schneiderei Natalie Zürcher | Catherine Blumer (Gewandmeisterinnen Damen) | Sarah Stock | Janine Bürdel (Gewandmeisterinnen Herren) | Christine Wassmer (Admin. Stellvertreterin) | Katrin Humbert / Anne Jean-Petit-Matile (Mutterschaftsvertretung) | Dominique Zwygart
Ankleiderinnen Lara Studer | Museng Fischer | Pascale Berlincourt | Verena Graber
Bühnenmeister Biel Samuele D'Amico
Bühnenmeister Solothurn Rémy Zenger
Beleuchtungsmeister Biel Mario Bösemann
Technische Einrichtung Antoine Camuzet
Ton und Video Matthias Daprà
und das Technik-Team TOBS!
Leitung Beleuchtungsstatisterie Michèle Péquegnat
Übertitel Stephan Ruch
Übertitelinspizienz Valentina Bättig, Meike Lieser, Ruben Monteiro Pedro, Stephan Ruch
Die Ausstattung wurde in den eigenen Werkstätten hergestellt.
Giuseppe Verdi und «Macbeth»: Ein Meisterwerk der Operngeschichte
Die Oper «Macbeth» markiert einen wichtigen Schritt in der Entwicklung von Giuseppe Verdi (1813-1901). Sie ist nicht nur musikalisch bedeutsam, sondern auch das erste Ergebnis seiner Auseinandersetzung mit William Shakespeare, der den Komponisten für den Rest seines Lebens faszinieren sollte.
Die Werke Shakespeares lernte Verdi in der Zeit kennen, die er später seine «Galeerenjahre» nennen sollte, da er in dieser Phase einen Auftrag nach dem anderen abarbeiten musste. Begonnen hatte das nach dem grossen Erfolg seines «Nabucco» (1842), und erst mit den drei grossen Opern «Rigoletto», «Il Trovatore» und «La Traviata» 1851-53 kam Verdi in die Position, sich von dieser «Galeere» zu befreien. Dazwischen hatte er noch zwölf weitere Opern geschrieben, von denen er die meisten in späteren Jahren nicht mehr sehr schätzte. Mit einer einzigen Ausnahme: «Macbeth».
Der Auslöser für diese Komposition war ein Opernauftrag aus Florenz für das Jahr 1847. Verdi hatte gerade Schiller und Shakespeare für sich entdeckt und sogar bereits mit einer Vertonung von Schillers «Räubern» begonnen, für die er eine Tenorpartie als Hauptrolle vorsah. Doch in Florenz würde ihm kein Startenor zur Verfügung stehen, dafür aber der hervorragende Bariton Felice Varesi. So legte Verdi die «Räuber» erst einmal beiseite und entschied sich für einen Stoff, mit dem er den Bariton in den Mittelpunkt stellen konnte – Shakespeares «Macbeth».
Die traditionellen Formen der Oper von der Arie, Cavatina und Cabaletta bis zum grossen Ensemble beherrschte Verdi meisterhaft und setzte sie auch in «Macbeth» ein. Doch hier entwickelte er sie weiter und verlieh ihnen noch grössere dramatische Dichte. Besonders wichtig war ihm dabei, den inneren Fluss und die sprachliche Dynamik von Shakespeares Drama musikalisch nachzuzeichnen. Deshalb griff er immer wieder in die Arbeit seines Librettisten Francesco Maria Piave ein: Er wollte den Geist des Originaltextes bewahren und dabei die emotionalen und dramatischen Tiefen der Figuren musikalisch ausloten.
Auffällig erweitert wurde dabei die Figur der Lady Macbeth. Stärker noch als im Schauspiel ist sie in der Oper die treibende Kraft. So tritt sie, anders als bei Shakespeare, auch nach der letzten Hexenbegegnung mit Macbeth noch einmal auf, um ihren Mann in seinen Mordplänen anzufeuern, die beiden bleiben also bis fast zuletzt «partners in crime». Auch musikalisch wird die Wichtigkeit ihrer Rolle betont, etwa durch ihre wiederkehrenden Motive, die schon im Vorspiel zu hören sind.
Die Uraufführung fand am 14. März 1847 im Teatro della Pergola in Florenz statt. Zwar bedauerten einige Patrioten, dass Verdi sich nicht wieder einem «vaterländischen» Stoff gewidmet hatte, dennoch fand das neue Werk viel Beifall und wurde in den Folgejahren auch von anderen Häusern gespielt. Doch die wohl wichtigste Aufführung fand erst achtzehn Jahre später statt: Das Théâtre Lyrique in Paris wollte «Macbeth» 1865 herausbringen, aber dafür benötigte man noch das damals obligatorische Ballett. Dies lieferte Verdi, nutzte jedoch zugleich die Gelegenheit, die gesamte Oper gründlich zu revidieren. Er tauschte einige Arien aus, erweiterte das Duett des mörderischen Paares, änderte Details in der Orchestrierung oder in den Tonarten. So schärfte er die dramatische Wirkung des Werks. Eindrucksvoll gelang ihm auch die neue Kampfszene zwischen Macbeth und Macduff, die nur durch eine fugenartige Orchesterpassage dargestellt wird. Viele dieser Änderungen fanden dauerhaft Zugang in die italienische Fassung der Oper, die üblicherweise heute gespielt wird.
Obwohl Verdi Shakespeare liebte und regelmässig las, griff er erst spät wieder auf ihn als Quelle zurück. Zwischen «Macbeth» und «Otello» sollten nicht nur vier Jahrzehnte vergehen, sondern auch vierzehn weitere Opern entstehen und mehrere Umarbeitungen. Auch mit einer Vertonung von «King Lear», zu der es jedoch nie kam, hatte sich Verdi zwischenzeitlich oft beschäftigt. Seine beiden letzten Opern sollten schliesslich wieder auf Shakespeare zurückgreifen: «Otello» und der sechs Jahre später entstandene «Falstaff». Und doch blieb ihm auch «Macbeth» zeitlebens wichtig. 1865, anlässlich der Pariser Neufassung, hatte er geschrieben: «Wenn wir daraus schon nichts Grossartiges machen können, dann wollen wir wenigstens etwas Aussergewöhnliches daraus machen.» Es ist beides gelungen: «Macbeth» verbindet die Belcanto-Meisterschaft mit einer dramatischen Musiksprache, die Verdi als einen der führenden Opernkomponisten seiner Zeit etablierte.
Macbeth - Auf den Punkt gebracht
«Macbeth»: Historischer Hintergrund
«Macbeth»: Historischer Hintergrund
Shakespeare stützte sich in weiten Teilen auf die zu seiner Zeit sehr populären «Chronicles of England, Scotland and Ireland» von Raphael Holinshed, die 1577 erstmals veröffentlicht wurden und damals als eine der wichtigsten historischen Quellen galten. Heutigen historischen Massstäben genügen sie nicht mehr, weil sie Chroniken, mündliche Überlieferungen und literarische Quellen vermischen.
Historisch gesichert sind einige Ereignisse, die im 11. Jahrhundert rund um Macbeth stattfanden. Macbeth war der Thane (eine Art Baron) von Glamis und später von Cawdor, der König Duncan I. ermordete, um selbst auf den Thron zu gelangen. Nachdem es zuvor viele Unruhen gegeben hatte, erlebte Schottland unter Macbeths 17-jähriger Herrschaft eine relativ stabile Phase. Seine Frau war vermutlich Gruoch, die Enkelin eines früheren Königs, es gibt jedoch keine Hinweise darauf, welche politische Rolle sie spielte. Macbeth wurde schliesslich von Malcolm, Duncans Sohn, besiegt und getötet.
Die Figuren Macduff und Banquo sind historisch nicht klar belegbar. Shakespeare greift jedoch Holinsheds Theorie auf: Demnach war Banquo ein edler Thane und Vorfahre von König James VI. von Schottland, der ab 1603 als James I. auch über England und Irland herrschte.
Shakespeares «Macbeth»
Shakespeares «Macbeth»
William Shakespeare (1564-1616) schrieb sein Schauspiel «Macbeth» vermutlich zwischen 1605 und 1606. Es ist eine seiner letzten grossen Tragödien und das dritte Stück, das er seit der Thronbesteigung von James I. verfasste. Nachdem er bereits unter Königin Elizabeth I. grossen Erfolg gehabt hatte, wollte sich Shakespeare auch die Gunst ihres Nachfolgers sichern, und nahm deshalb Anspielungen auf dessen angebliche Abstammung von Banquo in sein Werk auf. Auch sonst basiert die Handlung von «Macbeth» auf den «Chronicles» von Holinshed. Shakespeare griff die historische Erzählung über Macbeths Mord an Duncan auf und gestaltete sie dramaturgisch um. Er veränderte einige Figuren, insbesondere die der Lady Macbeth, die bei ihm eine stärkere Rolle spielt als in der Vorlage. Auch ein wichtiges neues Element der Handlung fügte Shakespeare hinzu: Da König James I. tief fasziniert war von überirdischen Kräften und sogar ein Buch über Dämonologie verfasst hatte, treten auch in «Macbeth» übernatürliche Kräfte in Erscheinung. Es sind die Hexen, die mit ihren unheilvollen Prophezeiungen Macbeths Schicksal lenken.
1 – Michele Govi, Changdai Park, Chor TOBS!
2 – Leonardo Galeazzi, Serenad Uyar
3 – Chor TOBS!
4 – Serenad Uyar, Reinaldo Droz, Leonardo Galeazzi, Chor & Statisterie TOBS!
5 – Etienne Anker, Chor & Statisterie TOBS!
6 – Serenad Uyar, Leonardo Galeazzi
7 – Michele Govi
© Joel Schweizer
Yves Lenoir über «Macbeth»
Gibt es in der dramatischen Literatur Figuren, die mehr nachdenken als Macbeth? Sowohl bei Shakespeare als auch bei Verdi und Piave nehmen Lady Macbeth und Macbeth nahezu das gesamte Werk ein… Szene für Szene isolieren sich die beiden, um sich, allein oder gemeinsam, zu hinterfragen. Sie nutzen dabei alle möglichen Denkmechanismen, verlieren sich in Beschwörungen, Selbstbefragungen und Mutmassungen.
Das Paar stellt sich selbst in Frage, und man könnte sogar sagen, dass die einzigartige Partnerschaft, die zwischen ihnen besteht, genau darauf beruht: auf diesem Denken, das sich ständig selbst hinterfragt, auf einer echten Sinnsuche; einer Sinnsuche, die in diesen letzten Monolog mündet, in dem Macbeth sich selbst dabei zusieht, wie er seine eigene Rolle spielt und die Absurdität des Lebens feststellt:
«Das Leben ist nur ein wandelnder Schatten, ein armer Komödiant,
der seine Stunde auf der Bühne prahlt und tobt
und dann nicht mehr gehört wird.
Es ist ein Märchen, erzählt von einem Narren,
voller Lärm und Wut – und bedeutungslos.»
Kurz zuvor hat Lady Macbeth sich das Leben genommen, vermutlich, weil sie zu derselben Schlussfolgerung gelangt ist.
Aus dieser Perspektive heraus war es mir wichtig, das Paar Macbeth stets gemeinsam auftreten zu lassen. Im «First Folio», der Erstausgabe des Shakespeare-Stücks, wird die Lady, ausser in Regieanweisungen, nie als «Lady Macbeth» bezeichnet, sondern stets als Gefährtin Macbeths. Die beiden verbindet also ein persönliches Bündnis, eine Art geistige Verbundenheit: «My dearest partner of greatness». Sie scheinen ein wahrhaft ebenbürtiges Paar zu sein. In dieser Hinsicht ist wohl das Unheimlichste an dem Stück die tatsächliche geistige Macht der Lady Macbeth – nicht nur ihre Fähigkeit zur scharfsinnigen Analyse und ihre Überzeugungskraft, sondern auch ihr tiefes Gespür für die verborgensten Wünsche ihres Mannes.
Die Frage des freien Willens steht somit im Zentrum des Werks: Was habe ich das Recht zu tun? Was erlaube ich mir zu tun? Wofür bin ich verantwortlich? Und wenn ich das weiss, kann ich dann meine Taten mit meinem Gewissen in Einklang bringen? Und wenn es den Macbeths nicht gelingt, ihre Taten mit ihrem Gewissen in Einklang zu bringen, dann liegt das natürlich an einem äusserst tiefen Riss in ihrem Willen, aber vor allem daran, dass ihr Wertesystem verworren ist und nicht mehr mit der Gesellschaft übereinstimmt, wie sie sich entwickelt hat.
«Macbeth» ist also die Geschichte eines Paares, das die Welt, in der es lebt, nicht mehr wiedererkennt; ein Paar, das die politischen und gesellschaftlichen Veränderungen nicht versteht und sich angesichts der ideologischen und philosophischen Umwälzungen verloren fühlt.
Diese neue Gesellschaft wird durch die Hexen verkörpert, Frauen, die einen Platz beanspruchen, der bis dahin von Männern besetzt war. Die Hexe ist jene, die sich allem entzieht, was von ihr erwartet wird, die die Konventionen erschüttert und mit den Geschlechterrollen spielt. Sie passt sich keiner Regel oder Verhaltensnorm an. Sie ist sowohl Teil der Gesellschaft als auch ausserhalb von ihr. Shakespeare hatte den Hexen den Titel «seltsame Schwestern» (wayward sisters) gegeben, was zeigt, dass die Idee der Schwesternschaft nicht neu ist.
In meiner Konzeption ist die Hexe politisch, kämpferisch, feministisch, antiglobalistisch und ökologisch. Sie ist eine positive und vielgestaltige Figur, die es jeder Person ermöglicht, sie sich anzueignen. Dabei dachte ich insbesondere an Starhawk, eine Symbolfigur der modernen Hexe – eine seit den 1980er Jahren engagierte Ökofeministin, Friedensaktivistin und Neopaganistin aus Kalifornien.
Ich habe mich entschieden, die Hexen am Ende zurückkehren zu lassen, um die Bühne zu übernehmen und mit dem Kopf des enthaupteten Macbeth zu spielen, als würde man ein Ballspiel mit Gefangenen spielen. Für jede ihrer Aktionen habe ich mich vom gestischen Vokabular inspirieren lassen, das in feministischen Demonstrationen verwendet wird, insbesondere von den Flashmobs des chilenischen Kollektivs LasTesis, die ihrerseits von der Choreografin Gisèle Vienne aufgegriffen wurden. In einer Art revolutionären und fröhlichen Ritualen tanzen diese Frauen, um sich selbst Kraft zu verleihen, um den Raum zurückzuerobern, um alles zu verändern.
Macbeth - Meet the cast
Überlegungen zu Bühnen- und Kostümbild von Yves Lenoir
Ich wollte, dass das Bühnenbild den Geisteszustand des Paares widerspiegelt. Zunächst tritt das Chaos nur an den Rändern auf, als Metapher für den Zustand des Königreichs. Dann breitet es sich in den zentralen Raum aus, in das eigentliche Umfeld des Paares. Nun ist es die Psyche von Macbeth und Lady Macbeth, die sich im Zustand der Unordnung befindet. Der Prozess der Zersetzung spiegelt den Zustand der Welt wider. Am Ende wählt Verdi eine Fuge, orchestriert mit vielen Blechblasinstrumenten, um die Schlacht zwischen Macbeth und Macduff darzustellen. Diese Schlacht erscheint wie ein archaisches Ritual, das den Moment abstrakt wirken lässt oder zumindest der Gewalt ihre Konkretheit entzieht. Macbeth ist allein in einem leeren Raum, mit einem Walkman auf den Ohren, so als warte er nur darauf, sich selbst zu vernichten.
In «Macbeth» sind die aufeinanderfolgenden Morde stets mit dem Gedanken an Vergnügungen, Feste oder rituelle Feierlichkeiten verbunden. Dies zeigt sich bereits im ersten Akt, bei Duncans Festmahl, dann in der berühmten Bankettszene mit dem Geist des Banquo, die sich im Epizentrum des Stücks befindet und der Wendepunkt des Stückes ist. Ich habe daher drei Tische im Raum platziert, die an eine Taverne mit Esstischen erinnern, gleichzeitig aber auch an Laborbänke oder Seziertische.Im Theater sind Bankette oft Momente der Wahrheit und Katharsis.
Das erste Bankett mit Duncan sollte eigentlich eine Feier von Macbeths Tapferkeit sein, entpuppt sich jedoch als beispiellose Verletzung des Gastrechts. Wir sehen nur die Kehrseite des Banketts, das Kommen und Gehen des Dieners und der Dienerin, als wolle man die allgemeine Störung zeigen, die durch die mörderischen Gedanken des Paares ausgelöst wird. Das Ritual der Feier bleibt verborgen. Der Mord an Duncan wird mit einem sexuellen Akt, einer Vergewaltigung, gleichgesetzt, so dass nicht der sexuelle Akt als brutal wahrgenommen wird, sondern der brutale Mord als sexuell. Jeder der Morde wird auf diese Weise als sexuelle Darbietung erlebt: «I have done the deed» (Ich habe die Tat vollbracht) sagt Macbeth bei Shakespeare, «Tutto è finito» (Alles ist vorbei) findet man bei Verdi.
Bevor Macbeth sich zum zweiten, dem grossen Bankett an den Tisch setzt, bereitet er den Mördern, die Banquo töten sollen, ein Rindertatar aus Hackfleisch zu. Kurz darauf wird beim Brindisi (Trinklied) ein Schweinekopf aufgetragen. Vor meinem inneren Auge hatte ich das Bild von Francis Bacon, der mit blossem Oberkörper vor zwei Fleischkadavern posiert – fotografiert von John Deakin. Es greift das Motiv des geschlachteten Ochsen auf, das sich bei Rembrandt oder Soutine findet. Der Ochse ist nichts als anonymes, dem Tod geweihtes Fleisch… ein Spiegel unserer eigenen Existenz.
Die sogenannte Kesselszene ist schliesslich eine Art Anti-Bankett: Die symbolische Umkehrung dieses dritten Banketts ist vollkommen. Die Hexen fügen ihrem Sud Körperteile hinzu, als sei ihr Gebräu für ein kannibalistisches Ritual bestimmt. Das Lebendige wird zerteilt, zerstückelt und verliert seine Integrität. Ich wollte den Akt der Nahrungsaufnahme mit dem Tod verknüpfen: Essen wird zu einem tödlichen Akt, zur ultimativen Form der Grenzüberschreitung.
Eine meiner zentralen Überlegungen als Regisseur war es, Macbeths Motive für seine Morde verstehen zu wollen: Warum tötet er? Ist es nur unersättlicher Ehrgeiz? Sicher, der erste Mord, der an Duncan, könnte in diese Richtung deuten, obwohl bereits dramaturgische Elemente auf andere Beweggründe hinweisen. Doch der Mordanschlag auf Banquo und Fleance hätte sich eigentlich in erster Linie gegen Fleance richten müssen. Und bei der Ermordung von Macduffs Familie hat das Motiv schliesslich gar keinen Bezug mehr zur Macht.
Für mich leidet Macbeth an einer krankhaften Angst, die mit Vaterschaft, Unfruchtbarkeit und vielleicht auch Impotenz verbunden ist. Dies erklärt auch seinen Konkurrenzkampf mit Banquo von Anfang an. Es scheint eine Art Trinität männlicher Figuren um Macbeth herum zu geben: Duncan, Banquo und Macduff. Jeder dieser drei Männer ist für ihn mal ein Spiegelbild, mal ein Ideal des eigenen Ichs. Alle drei sind Väter und repräsentieren idealisierte männliche Figuren. Bei Verdi erscheinen sie übrigens nur sehr selten. Duncan wird sogar auf eine Statistenrolle reduziert, als sei er nur eine Projektion von Macbeth.
Ich habe beschlossen, diese drei Figuren in elisabethanische Gewänder zu kleiden - als würden sie durch ihre Kostüme die Identität von Macbeth in Frage stellen. Diese Kostüme spiegeln die obsessive Selbstbefragung eines Mannes wider, der den ursprünglichen Trennungsprozess von der Mutter wiederholt, indem er eine ambivalente, negative Verbindung aus Hass und Neid zu seiner Umgebung aufbaut.
Trägerschaft
Trägerschaft
Stadt Biel
Stadt Solothurn (mit Unterstützung von Kanton und Gemeinden der Repla Solothurn)
Kanton Bern
Gemeindeverband Kulturförderung Biel/Bienne-Seeland-Berner Jura
Impressum
Impressum
Verwendete Ausgabe:
Casa Ricordi, Milano
Herausgeber:
Theater Orchester Biel Solothurn TOBS!
www.tobs.ch
Saison 2024/25
Programm Nr. 4
Intendant: Dieter Kaegi
Redaktion: Meike Lieser
Übersetzung: Isabelle Wäber (f), Meike Lieser (d)
Lektorat: Béatrice Schmidt
Layout: Aline Boder
Gestaltung: Republica AG
Fotos der Klavier- und Orchesterhauptprobe: Joel Schweizer
Fotoauswahl: TOBS!
Februar 2024
Fotografieren, Filmen sowie Tonaufnahmen sind während der Vorstellung aus urheberrechtlichen Gründen nicht gestattet.
Die Veranstaltungsplakate können an der Theaterkasse erworben werden.
Wir freuen uns über Ihre Rückmeldung zur Inszenierung: direktion[at]tobs.ch
Textnachweise:
Alle Texte sind Originalbeiträge für dieses Programmheft.
Die Texte von Yves Lenoir wurden auf Französisch verfasst, alle übrigen Texte auf Deutsch.
Das Interview mit Franco Trinca führte Meike Lieser am 30. Januar 2025.
Unterstützung
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