Digitales Programmheft

Frank Buchser in Amerika

Ein Recherche-Projekt
Katharina Ramser

Inhalt

Chronologisch führt das Theaterstück in einer Art Road-Trip in acht Stationen durch das «Leben und Streben in Amerika» von Kunstmaler Frank Buchser.

1. Café Waterloo, «Der Gegner», 1865: Das heutige Restaurant «Oskar und Luise» in Solothurn wird zum Schauplatz einer blutigen Wirtshausschlägerei, bei der Frank Buchser dem Landamman Ackermann wegen politischer Uneinigkeiten ein Glas über den Kopf zieht.

2. Bundeshaus Bern, «Der Gönner», 1865: Nationalrat Stämpfli unterbreitet Bundesrat Dubs den Vorschlag, Frank Buchser mit einem Kunstauftrag ausgestattet nach Nordamerika zu schicken und ihn so aus dem politischen Verkehr zu ziehen, bis sich die Lage um die Körperverletzung beruhigt hat. 

3. Washington, «Der Pionier», 1866: In einer TV-Show sind zwei historische Gegenspieler zu Gast und Uncle Sam als Moderator gewährt einen Rückblick auf Schweizer Pioniere in Nordamerika, den Kolonialismus und die Folgen für die indigene Bevölkerung. 

4. Der wilde Westen, «Der Showman», 1866: Buffalo Bill führt in den Wilden Westen Hollywoods und berichtet über die Entstehung des modernen Show Business. Die Gebrüder Shermann hecken einen grausamen Plan zur Zerstörung der Lebensgrundlage der indigenen Bevölkerung aus. 

5. Fort Laramie, «Der General», 1866: Buchser und General William Sherman treffen aufeinander und verhandeln Menschenbilder, Sehnsüchte und Abgründe. Sie zeigen eine europäisch verklärende, aber auch gewaltvoll verachtende ambivalente Sicht auf die Native Americans, die sich bis heute in der Gesellschaft hält.

6. New York, «Der Bruder», 1867: Das Wiedersehen zwischen den beiden Brüdern Josef und Frank Buchser ermöglicht Einblicke in Familienverhältnisse und Frauenbilder. Parallel dazu versucht in der heutigen Gegenwart ein Helfer eines Suchtrupps eine vermisste Frau zu finden.

7. Sault St. Marie, «Der Missionar», 1868: Zwei Benediktinermönche aus Einsiedeln unterhalten sich über Assimilationsversuche. In den Plains entstehen Internate unter ihrer Aufsicht, die die Kinder der Indigenen unter Zwang zu europäischen Christen umerziehen sollen. 

8. Feldbrunnen, «Der Schüler», 1886: Der um 20 Jahre gealterte Buchser unterrichtet die neue Generation Künstler. Er scheint dabei lieber in Erinnerungen zu schwelgen, anstatt sich mit den Veränderungen und dem Fortschritt der Zeit zu beschäftigen. 

Videosequenzen als Nachträge auf und als Übergänge zwischen den Szenen ermöglichen einen aktuellen Blick auf Vergangenes und Gegenwärtiges und schaffen einen Raum für die Geschichte und Kulturen der Indigenen Nordamerikas.

Weitere Informationen


Dauer: ca. 2 Stunden 25 Minuten inkl. Pause
Altersempfehlung: 14+

Live-Einführung und Nachgespräch: Informationen hier.

Besetzung

Besetzung

Inszenierung Katharina Ramser
Bühnenbild und Kostüme Stefanie Liniger
Video Thomas Bernhard
Lichtgestaltung Michael Nobs
Dramaturgie Nora Bichsel, Patric Bachmann
Regieassistenz und Inspizienz Yael Stricker
Regiehospitanz Nora Zihlmann
Videostimme Silvia-Maria Jung
 

Bundesrat Jakob Dubs / Johann August Sutter / Buffalo Bill / Helfer des Suchtrupps / Abt Heinrich Schmid / Frank Buchser Günter Baumann

Frank Buchser / Heinrich Lienhard / Senator John Sherman / Cuno Amiet Gabriel Noah Maurer

Regierungsrat Dr. Josef Ackermann / Nationalrat Jakob Stämpfli / Uncle Sam / General William Tecumseh Sherman / Dr. Josef Buchser / Martin Marty Fabian Müller
 

Technik

Technik

Technischer Direktor Günter Gruber

Leitung Ausstattung und Werkstätten Vazul Matusz
Schreinerei Simon Kleinwechter (Leitung) | Steven McIntosh | Raphael Schärer
Malsaal Daniel Eymann (Leitung) | Julian Scherrer
Dekorationsabteilung Ursula Gutzwiller
Requisiten Marianne Winkelmann
Maske Schauspiel Barbara Grundmann-Roth (Leitung) | Mandy Gsponer

Leitung Schneiderei Gabriele Gröbel
Schneiderei Catherine Blumer | Natalie Zürcher (Gewandmeisterinnen Damen) | Janine Bürdel | Sarah Stock (Gewandmeisterinnen Herren) | Christine Wassmer (Admin. Stellver-treterin) | Katrin Humbert | Dominique Zwygart
Ankleiderinnen Martina Inniger | Anja Wille

Technischer Leiter Adrian Kocher
Bühnenmeister Biel Samuele D'Amico
Bühnenmeister Solothurn Rémy Zenger
Technische Einrichtung Andreas Schwabe
Ton Alex Wittwer

und das Technik-Team TOBS!

Die Ausstattung wurde in den eigenen Werkstätten hergestellt.

1 – Günter Baumann, Fabian Müller, Gabriel Noah Maurer
2 – Gabriel Noah Maurer 
3 – Gabriel Noah Maurer, Fabian Müller, Günter Baumann
4 – Gabriel Noah Maurer, Günter Baumann, Fabian Müller
© Joel Schweizer

Frank Buchser, 1828-1890

Frank Buchser war ein hedonistischer, abenteuerlustiger und selbstbewusster Zeitgenosse. In seinem Tagebuch nennt er sich selbst gerne «Buchserstark». Er vertrat seine Standpunkte mit Nachdruck, wenn es sein musste auch mit Gewalt. Er war ein Suchender, ein Reisender, dem das heimische Solothurn oft zu eng wurde und der nach Spanien, Frankreich, Paris, Italien, England, Marokko, Belgien, Holland, Griechenland und Amerika reiste. Auf seinen Reisen verkehrte er oft mit der gesellschaftlichen Elite des Landes, kam überall scheinbar mühelos in die oberen politischen Kreise und malte zahlreiche Portraits von mächtigen Männern und deren Familien. Dass Buchser schon zu Lebzeiten eine Art Prominenz war, zeigen Einträge in der Solothurner Zeitung, die über die Schlägerei von Buchser mit Regierungsrat Ackermann berichten und scheinbar über die Kantonsgrenzen hinaus auf Interesse stiessen.

Frank Buchser liess sich begeistern von fremden Kulturen, der Schönheit der Natur und dem Spiel von Licht und Farbe, was er malerisch in über 1000 Werken wiedergab. Seine Kunst ist dem Realismus zuzuordnen. Buchser malte die heile Idylle – bei Landschaften wie bei Menschen. Er war ein Sonnenanbeter und Freilichtmaler, der mit scharf begrenzten Lichtflecken arbeitete, die später bei Cuno Amiet weiterentwickelt wurden.

Buchser konnte aber auch vom eigenen Ehrgeiz zerfressen werden. Nicht selten stürzte er in tiefe Krisen, wenn der erwünschte Erfolg ausblieb. Seine Reflexionen führen aber nicht unbedingt zu einem tieferen Verständnis der Zusammenhänge politischer, gesellschaftlicher und soziologischer Vorgänge, sondern bleiben auf seine Person und seine eigenen Ambitionen reduziert. Er schien die Welt um sich herum mit einer verklärten Sehnsucht nach Wahrheit, Reinheit und Schönheit wahrgenommen zu haben. Ähnlich wie er die heile Idylle malte, schildert er Erlebnisse und Weltansichten in seinen Tagebüchern schön gefärbt. 

Frank Buchser in Amerika - Auf den Punkt gebracht


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«Wer der Kunst sich widmen will, muss entweder sehr reich von zu Haus aus sein oder sich entschliessen, alle Reichtümer der Erde zu verachten und sich wie die Lerche auf seine eigenen Schwingen und seinen Gesang zu verlassen und nur ewig nur der Poesie und dem Schönen zu huldigen»

 

Frank Buchser, Notizen über mein Leben und Streben in Amerika, 16. März 1867

Die historischen Figuren

Dr. Josef Ackermann

Dr. Josef Ackermann

1814-1877, Solothurner Regierungsrat (1857-1873) und Jurist. Er wurde von Buchser während eines Streits im Café Schöpfer (heute Restaurant «Oskar und Luise») am Kopf verletzt und war danach zwei Wochen regierungsunfähig.

Bundesrat Jakob Dubs

Bundesrat Jakob Dubs

1822-1879, Schweizer Politiker und Jurist. Engagierte sich für vielfältige politische Anliegen, von Schulreformen, über Handelsverträge bis Verfassungsrevisionen. Politisch ist er als Liberaler Föderalist als Gegenspieler von Jakob Stämpfli einzuordnen. 

Nationalrat Jakob Stämpfli

Nationalrat Jakob Stämpfli

1820-1879, Schweizer Politiker, Jurist und Journalist, ehem. Bundesrat. Er gehörte zur Gruppe der Radikalen und engagierte sich – im Gegensatz zu Alfred Eschers privatwirtschaftlichen Interessen – für den staatlichen Eisenbahnbau.

Johann August Sutter

Johann August Sutter

1803-1880, Schweizer Kaufmann, Grossgrundbesitzer und Gründer der Privatkolonie Neu-Helvetien in Kalifornien. Lange wurde er in den USA und der Schweiz als Held und Pionier gefeiert. Nach jüngster Forschung legte Sutter jedoch den Grundstein für den grausamen, unmenschlichen Umgang mit den Indigenen in Kalifornien – nirgends in Amerika waren die Massaker grösser.

Heinrich Lienhard

Heinrich Lienhard

1822-1903, Schweizer Auswanderer, der 1843 erstmals nach Illinois, dann nach Kalifornien reiste. Er verfasste ein durchaus kritisches und reflektiertes Manuskript zu seinen Erlebnissen, das heute als wichtige historische Quelle zu Johann August Sutter genutzt wird.

Uncle Sam

Uncle Sam

Ist die bekannteste Nationalallegorie der USA und wurde durch den Graphiker James Montgomery Flagg als Werbefigur im ersten Weltkrieg weltberühmt («I want you for U.S.Army»). Kritisch betrachtet wird die Nationalfigur aber auch zur personifizierten Karikatur und kann als Symbol für eine eher kritische Haltung gegenüber der amerikanischen Kultur und der Regierung verstanden werden. 

Buffalo Bill

Buffalo Bill

1846-1917, eigentlich William Frederick Cody, berühmter US-amerikanischer Bisonjäger, Erfinder des «Wilden Westens» und Begründer des modernen Showbusiness. Ab 1883 ging er mit seiner «Wild West Show» auf Tournee und sorgte dabei auch in Europa für Furore. 

General William Tecumseh Sherman

General William Tecumseh Sherman

1820-1891, US-amerikanischer Offizier, zuletzt General of the Army (zweithöchster Dienstgrad), Bankier, Rechtsanwalt, Schriftsteller und Kriegsminister. Er kämpfte im Amerikanischen Bürgerkrieg auf Seiten der Nordstaaten und beteiligte sich mit Bodenspekulationen am Goldrausch in Kalifornien. Er führte den Plan der Vernichtung der gesamten Bisonpopulation in Nordamerika aus. 

Senator John Sherman

Senator John Sherman

1823-1900, US-amerikanischer Politiker (Finanz- und Aussenminister) und der jüngere Bruder von William Tecumseh Sherman.

Tatanka Iyotake – Sitting Bull

Tatanka Iyotake – Sitting Bull

1831-1890, war ein Lakota (Untergruppe der Sioux) und ab 1867 deren Chief. Er galt als «Wicasa Wakan» (heiliger Mann), deutete seine Träume und Visionen und machte Prophezeiungen über Ereignisse in der näheren Zukunft. Er sah den Sieg der Lakota über General Custer bei der Schlacht am Little Bighorn 1876 voraus. Sitting Bull setzte sich bis zu seiner Ermordung durch Behörden während seiner Verhaftung für den Schutz der traditionellen Lebensweise und Landrechte der Sioux ein. 

Dr. Josef Buchser

Dr. Josef Buchser

1830-1896, jüngerer Bruder von Frank Buchser und Arzt, alleiniger Erbe von Buchsers Werken. Josef war, neben der Mutter, Buchsers einziger Fixpunkt in seinem Privatleben. 

Martin Marty

Martin Marty

1834-1896, Benediktinermönch und Missionar aus Schwyz, hat ab 1860 vor allem bei den Sioux missioniert und war das Gesicht der forcierten Kampagne der Zwangsassimilation. Er strebte die Anpassung der indigenen Kultur an die europäische, christliche Kultur an. 

Abt Heinrich Schmid

Abt Heinrich Schmid

1801-1874, Abt der Benediktinerabtei Einsiedeln, ermöglichte die Missionierung und Errichtung von Internaten für die Zwangsassimilation in den USA.

Cuno Amiet

Cuno Amiet

1868-1961, Solothurner Kunstmaler, Zeichner, Graphiker und Bildhauer. Er wurde als 16-Jähriger im Sommer 1884 von Frank Buchser in Feldbrunnen unterrichtet und war später mit ihm in der Künstlerkolonie Hellsau im Emmental.

Aus Gesprächen mit dem Regieteam

Katharina Ramser, Autorin und Regie

Die Autorin und Regisseurin möchte die Rezension von Frank Buchser und seiner Zeit aus einer neuen Perspektive beleuchten. Es geht um den heutigen Blick auf die Kunst und auf Protagonisten dieser Zeit und darum, dass wir uns durch Aufarbeitung von Vergangenem und dem Betrachten der Nachwirkungen bis in die Gegenwart weiterentwickeln. Dazu hat sie zu Frank Buchsers Reise nach Nordamerika recherchiert und rückt dabei seine Suche nach den Indianern sowie das Schicksal der Indigenen Mitte des 19. Jahrhunderts ins Zentrum des Stückes. Die Geschichte der Indigenen aus Nordamerika wird oft verschwiegen; sie haben bis heute wenig Rechte und gehören zur untersten Gesellschaftsschicht in ihrem eigenen Land. In Europa, so scheint es, haben wir wenig Kenntnisse zu diesem Thema und trotzdem schauen wir mit einem verklärten Blick auf die Indigenen Nordamerikas; Verklärung und Nichtwissen sind gleichermassen vorhanden.
Die heutigen Zustände in Amerika in Bezug auf den Umgang mit den Indigenen und ihrer Geschichte sind direkt auf den Kolonialismus zurückzuführen. Und auch die Schweiz hat ihren unrühmlichen Beitrag dazu geleistet.
Die gewählte Sprache im Stück basiert schätzungsweise zu 80% auf originalen Textpassagen und bewegt sich so nahe an den Quellen wie möglich. Die Dialoge und Monologe sind unter anderem entlehnt aus Memoiren von Heinrich Lienhard und William Sherman, aus Tagebüchern von Frank Buchser, aus Briefwechseln zwischen Martin Marty und Abt Heinrich Schmid. Die gewählte Sprache ist also historisch zu verstehen, so auch Begriffe, Formulierungen und Inhalte. Die Videos liefern einen heutigen Blick auf das Geschehene und bedienen sich einer zeitgemässen Sprache.

Stefanie Liniger, Ausstattung

Das Stück beginnt in einem Restaurant in Solothurn. Für Stefanie Liniger war dieser Raum Inspiration für die Täfelungswand auf der Bühne, die gleichzeitig als Projektionsfläche für die Videos dient. Eine zweite, höher hängende Wand ergänzt den Raum und eröffnet eine zusätzliche Spiel- und Projektionsebene. Der Trailer im zweiten Teil des Stücks zeigt die heutigen Wohnverhältnisse der Indigenen in den Reservations Nordamerikas. Er steht als stilles Zeugnis auf der Bühne und unterstreicht den dokumentarischen Charakter der Reise Buchsers.
Für den Kostümentwurf hat sich Stefanie Liniger zuerst mit den realen historischen Persönlichkeiten auseinandergesetzt. Dann hat sie die Figuren durch die Linse der Gegenwart betrachtet und suchte nach Assoziationen und Pendants in der heutigen Zeit: „Wie könnten diese Figuren heute aussehen? Wie könnten sie in unserer Zeit auftreten und welche Bedeutung haben diese Figuren heute?“ Das Ergebnis ist eine Mischung aus Vergangenheit und Gegenwart: Historische Elemente verschmelzen mit zeitgenössischen Einflüssen, nicht nur in der Mode, sondern auch in der Haltung, im Ausdruck, in der Interpretation der Persönlichkeiten.

Thomas Bernhard, Video

Die Videoprojektionen von Thomas Bernhard sind mehr als eine visuelle Ergänzung des Bühnenraums – sie sind einerseits eine Art Dokumentation von Buchsers Reise durch Nordamerika, öffnen aber auch ein Fenster mit Blick auf die heutige Zeit. Für dieses Projekt hat Thomas Bernhard sich intensiv mit der Geschichte und der aktuellen Situation der Indigenen in Nordamerika auseinandergesetzt. Diese Auseinandersetzung prägt seine Bildsprache und seine künstlerischen Entscheidungen im Stück.
Durch filmische Nachträge entstehen Räume, die den Blick auf die Gegenwart lenken: Wo stehen indigene Gemeinschaften heute? Welche Kämpfe führen sie? Welche Stimmen werden gehört und welche nicht?
Die Videoprojektionen verweben Vergangenheit und Gegenwart, dokumentarische Elemen-te und künstlerische Reflexionen. Sie laden das Publikum ein, genauer hinzusehen, sich mit einer oft übersehenen Realität auseinanderzusetzen und vielleicht die eigene Perspektive zu hinterfragen.

Videoausschnitt von Thomas Bernhard


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Indigenous Peoples – Forschung und Begrifflichkeiten

Um 1500 lebten schätzungsweise 5 bis 10 Millionen Indigene im Gebiet nördlich des Rio Grande. Um 1900 waren nur noch 250 000 Menschen indianischer Herkunft auf US-amerikanischem Territorium übrig. Seit mehr als 500 Jahren kämpfen die Indigenen bis heute gegen den Kolonialismus. 

In der Forschung existierten sie bis in die 1960er Jahre kaum. Ihre historische Relevanz wurde stark heruntergespielt und sie erschienen oft nur als Statisten, deren demographischer Rückgang als unbeabsichtigte Nebenfolge der Westexpansion erklärt wurde. Das dominierende Narrativ der Nationalgeschichte der USA wurde und wird leider auch noch heute als einzigartige Erfolgs- und Fortschrittsgeschichte geschrieben. Die europäischen Pioniere werden als Helden gefeiert, die die «Wildnis» in einen blühenden Garten verwandelt und die «Wilden» gebändigt haben. 

Es sind viele Selbstzeugnisse, sogenannte Egodokumente, vorhanden, denen die Forschung bislang erstaunlicherweise wenig Beachtung geschenkt hatte. Aber gegen Ende des 20. Jahrhunderts wurden immer mehr Gegengeschichten erzählt. Eine neue Lesart der amerikanischen Geschichte entwickelte sich, in der die American Indians in der Forschung mehr an Relevanz gewannen. In Bezug auf den demographischen Rückgang der indigenen Bevölkerung spricht die Forschung heute zunehmend von Genoziden (Völkermorde) und Ethnoziden (kulturelle Völkermorde), von unterschiedlichsten Formen der Massengewalt an Indigenen, wie z.B. Todesmärsche während Zwangsumsiedlungen, Massaker, Kopfgeldjagden, Unterversorgung in Reservations, Vergewaltigungen und Tötungen von Frauen, Kindswegnamen und Zwangsassimilation. Zudem wird deutlich, dass der Kollaps der indigenen Bevölkerung auch wegen Epidemien, Infektionskrankheiten, Hunger, staatlicher Vernachlässigungen, Ausrottung der Bisons als wichtigste Lebengrundlage und immer wieder gebrochenen Verträgen herbeigeführt wurde. 

Nach dem Schweizer Historiker Aram Mattioli (Zeiten der Auflehnung 2023, S. 25-28), steht und fällt jede Darstellung zu den First Peoples mit einem reflektierten und an den Indigenen Sprachen orientierten Sprachgebrauch. Dieser ist aber weder einheitlich noch konsequent. Etliche Gemeinschaften bezeichnen sich selbst als «Nations» (Navajo Nation, Oglala Lakota Nation), während andere das Wort «Tribe» oder «Band» (Northern Cheyenne Tribe, Turtle Mountain Band of Chippewa Indians) bevorzugen. 

Es existiert weder im Amerikanischen, noch im Deutschen ein allseits akzeptierter Oberbegriff, der die Gesamtheit der indigenen Völker auf US-Territorium beschreibt. So hält das National Museum of the American Indian zur Namenskontroverse fest: «American Indian, Indian, Native American oder Native sind akzeptabel und werden in den Vereinigten Staaten oft austauschbar verwendet; allerdings besitzen Native Peoples oft individuelle Präferenzen darüber, wie sie angesprochen werden möchten.»

Die Namen von Organisationen, wie der «American Indian Movement» (AIM), eine seit 1968 bestehende indigene Organisation in den USA, deuten darauf hin, dass «American Indian» als Selbstbezeichnung stets breit akzeptiert war und heute nach wie vor ist. 

Im deutschsprachigen Kulturraum ist «Indianer» seit Jahrhunderten der dominierende Oberbegriff. Es handelt sich um eine Fremdbezeichnung, die bekanntlich einem groben geografischen Irrtum zu verdanken ist und aus einem kolonialen Kontext stammt. Aber «Indianer» besitzt – anders als «Indian» im Amerikanischen – keine eindeutig negative Konnotation, sodass der Begriff nach Ansicht von einzelnen Experten weiterhin verwendbar bleibt.

Die UNO brachte 1981 den Begriff «Indigenous Peoples» in die Debatte ein und davon abgeleitet wurden die politisch korrekten Ausdrücke «indigene Völker» und «Indigene». Es handelt sich dabei zwar um Fremdbezeichnungen, die aber in der aktuellen Forschung verwendet werden und allseits akzeptierten Begriffen am nächsten kommen.

«Die Poesie der Indianer ist aber nur fern von ihnen in Träumen eine Tatsache.»

 

Frank Buchser, Notizen über mein Leben und Streben in Amerika, 27. Juni 1869

Frank Buchser in Amerika - Meet the cast


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«Wie die Welt doch capricieux ist! Vor vierzehn Jahren kam ich nach Madrid […] und hatte nur noch 40 Fr. in der Tasche, und doch keilte ich mich mit Mut und Leichtigkeit durch, […] und nun bin ich hier [New York] mit 3000 Fr. und habe eine ziemliche Reputation als Maler, als Meister, und es will mir zuweilen etwas schwindeln vor den Augen! Pfui, Buchserstark, das muss anderst werden in einer Stadt von anderthalb Millionen und wo kein Haus dem andern gleicht.»

 

Frank Buchser, Notizen über mein Leben und Streben in Amerika, 22. Mai 1866

Literaturtipps und verwendete Quellen

Online: 

  • Matt Aufderhorst: Es stimmt etwas nicht in diesem Raum. Erschienen in: Die Wochenzeitung, Nr. 25, 24. Juni 2021, Online hier.
  • Rachel Huber: Ein Pionier mit dunkler Seite. Vom Westernheld zum rassistischen Kolonialisten: Die Sicht auf den Schweizer Pionier Johann August Sutter veränderte sich in den letzten Jahrzehnten. Blog des schweizerischen Nationalmuseum 2021, Online hier.

Literatur:

  • Aram Mattioli: Zeiten der Auflehnung. Eine Geschichte des Indigenen Widerstands in den USA, Stuttgart 2023.
  • Aram Mattioli: Verlorene Welten. Eine Geschichte der Indianer Nordamerikas 1700-1910, Stuttgart 2018.
  • Manuel Menrath: Unter dem Nordlicht. Indianer aus Kanada erzählen von ihrem Land, Köln 2020.

Quellen: 

  • StASO Z11: Solothurner Zeitung Nr. 148, Ausgabe vom 30. Dezember 1865, S. 611.
  • Frank Buchser: Notizen über mein Leben und Streben in Amerika. Begegnungen und Bekenntnisse eines Schweizer Malers 1866-1871. Herausgegeben und eingeleitet von Gottfried Wälchli, Zürich 1942.

Bilder:

  • Frank Buchser (1828-1890), Die Stromschnellen von Ste-Marie, 1868. Ölmalerei, 86,5 x 172 cm. SIK-ISEA, Zürich.
  • Frank Buchser, Selbstbildnis, 1852. Ölmalerei, 64 x 56 cm. SIK-ISEA, Zürich.
  • Anonym, Porträt von Frank Buchser, um 1866-1871, Photographie, 9,4 x 5,6 cm. Rückseitig nicht vollständig lesbare Widmung von Frank Buchser aus Amerika, Privatbesitz. Scan aus: Kunstmuseum Solothurn: Frank Buchser 1828-1890. Katalog zur Ausstellung vom 9. Juni bis 16. September 1990, S. 11.

1 – Gabriel Noah Maurer, Günter Baumann, Fabian Müller
2 – Fabian Müller, Gabriel Noah Maurer
3 – Logo von der Organisation MMIW (Missing and murdered Indigenous Women)
4 – Gabriel Noah Maurer
5 – Gabriel Noah Maurer, Günter Baumann
© Joel Schweizer

Unterstützung

Wir danken unseren Sponsoren & Partnern für Ihre Unterstützung.

Elisabeth Bachtler Stiftung

Trägerschaft

Trägerschaft

Stadt Biel

Stadt Solothurn (mit Unterstützung von Kanton und Gemeinden der Repla Solothurn)

Kanton Bern

Gemeindeverband Kulturförderung Biel/Bienne-Seeland-Berner Jura

Impressum

Impressum

Herausgeber:

Theater Orchester Biel Solothurn TOBS!

www.tobs.ch

Saison 2024/25

Programm Nr. 6

 

Intendant: Dieter Kaegi 
Schauspieldirektion: Olivier Keller | Patric Bachmann
Redaktion: Nora Bichsel
Layout: Aline Boder

Gestaltung: Republica AG

Fotos: Joel Schweizer

Fotoauswahl: TOBS!

März 2025

Urheberrechte: Inhaber*innen von Urheberrechten, die vor Drucklegung nicht erreicht werden konnten, werden gebeten sich zu melden. Fotografieren, Filmen sowie Tonaufnahmen sind während der Vorstellung aus urheberrechtlichen Gründen nicht gestattet.

Die Veranstaltungsplakate können an der Theaterkasse erworben werden.

Wir freuen uns über Ihre Rückmeldung zur Inszenierung: direktion[at]tobs.ch

In Zusammenarbeit mit dem Kunstmuseum Solothurn. 

Mit speziellem Dank an Dr. Rachel Huber von der Universität Bern und Prof. Dr. phil Manuel Menrath von der Universität Luzern.

Danke an Christian Lecomte von der Bison-Ranch in Près d’Orvin. Danke an Gesualdo Russo vom Restaurant «Oskar und Luise.»

Wir sind eine lernende Organisation. Sollten wir hier Begrifflichkeiten verwendet haben, die jemanden verletzen oder beleidigen, melden Sie sich bitte bei uns.