Steps: Twi/light
Rachelle Anaïs Scott, NEXT STEPS Artist, St.Gallen Dance Company
Marioenrico D'Angelo, NEXT STEPS Artists, Bern Ballet
Valeria Felder, Leiterin des Migros-Kulturprozent Tanzfestival Steps
| 2025/26 Tanz
Steps: Twi/light
Rachelle Anaïs Scott, NEXT STEPS Artist, St.Gallen Dance Company
Marioenrico D'Angelo, NEXT STEPS Artists, Bern Ballet
Valeria Felder, Leiterin des Migros-Kulturprozent Tanzfestival Steps
Marioenrico: Das Publikum wird an diesem Abend nicht nur zwei Kreationen zweier unterschiedlicher Choreograf*innen erleben, sondern auch zwei renommierte Schweizer Tanzkompanien kennenlernen. Dies verspricht eine grosse Vielfalt auf der Bühne. Unser Ziel ist es, Werke zu schaffen, die das künstlerische Talent der Tänzer*innen, mit denen wir zusammenarbeiten, zur Geltung bringen, unsere choreografische Vision zum Ausdruck bringen und das Publikum fesseln.
Rachelle: «Twi/light» ist eine Erkundung von Schwellenmomenten – jenen Übergängen, in denen sich Dinge zwischen Präsenz und Abwesenheit, Sichtbarem und Unsichtbarem bewegen. Mein Werk «Vanishing Point» existiert in diesem Zwischenraum, wo das Vertraute sich auflöst und die Wahrnehmung sich zu verändern beginnt. Das Publikum wird nicht nur Bewegung sehen, sondern die Spannung des Übergangs spüren, die Desorientierung sich verschiebender Realitäten. Es ist eine Einladung, sich auf das Ungewisse einzulassen – nicht als etwas, das Angst macht, sondern als einen Raum, in dem Neues entstehen kann.
Rachelle: Nicht eine einzelne Emotion, sondern ein Zusammenspiel – Neugier, Unbehagen, Nostalgie, Wiedererkennen. Ich möchte, dass das Publikum ein Gefühl des Entgleitens erlebt, als würde sich etwas entziehen, gerade in dem Moment, in dem es greifbar scheint. In dieser Spannung liegt eine stille Intensität – der Moment, in dem man am Rand des Vertrauten steht und den Sog des Unbekannten spürt. Wenn «Twi/light» am Ende mehr Fragen als Antworten hinterlässt, dann hat das Publikum genau den Raum betreten, in dem das Werk wirklich lebt.
Marioenrico: Die Dämmerung ist für mich der Moment, in dem alles zur Ruhe kommt – der geschäftige Tag liegt hinter uns, die Nacht ist noch nicht da. Es ist der Augenblick, einfach präsent zu sein – ohne Gedanken und Unsicherheiten über die Zukunft, ohne Reue über den vergangenen Tag. Ebenso ist die Morgendämmerung der letzte Moment der Stille, bevor etwas Neues beginnt. Es ist ein magischer Moment, in dem sich der Himmel verwandelt – von Orange zu Blau, von Gelb zu Violett. Ich hoffe, dass die Tänzer*innen dieses Gefühl mutig verkörpern und es an das Publikum weitergeben können.
Valeria Felder: Die Zusammenarbeit zwischen Bern Ballett und der Tanzkompanie St. Gallen für dieses Projekt entstand auf Initiative des Migros-Kulturprozent Tanzfestival Steps. Mit dem Pilotprojekt NEXT STEPS möchte Steps in der Schweiz ansässigen Choreografie-Talenten eine Plattform bieten, um ihre Werke mit grösseren Compagnien zu präsentieren. Da es für Choreograf*innen oft eine Herausforderung ist, die organisatorischen und finanziellen Hürden einer eigenen Compagnie zu bewältigen, sehen wir in der Kooperation mit etablierten Stadttheatern wie Bern und St. Gallen eine Win-Win-Situation. Beide Theater, langjährige Partner von Steps, waren sofort begeistert von unserer Vision, die Karrieren von Choreograf*innen durch professionelle Produktionsbedingungen nachhaltig zu unterstützen. Gemeinsam wollen wir Künstler*innen den Übergang von der Bühne zur Kreation erleichtern und ihnen wertvolle Erfahrungen mit grösseren Ensembles ermöglichen.
Marioenrico: Dieses Projekt hat mir bereits wertvolle Einblicke ermöglicht – durch die Zusammenarbeit mit den künstlerischen Leitungen, dem Team sowie den Bühnen-, Kostüm- und Lichtdesigner*innen und vielen weiteren Beteiligten der beiden Theater. Mein Ziel ist es, den Tänzer*innen die nötigen Werkzeuge zu geben, um in meine choreografische Sprache und Vision einzutauchen, und ich bin überzeugt, dass auch ich viel von ihnen lernen werde. Steps, Bühnen Bern und die Tanzkompanie St. Gallen geben uns nicht nur die grossartige Möglichkeit, unsere künstlerische Perspektive zum Ausdruck zu bringen, sondern schenken uns auch ihr Vertrauen.
Rachelle: Jeder Aspekt dieser Zusammenarbeit ist voller Potenzial. Die Schönheit liegt im Unbekannten – das, was wir schaffen, wird erst durch die Erkundung vollständig sichtbar. Mit jedem Schritt entdecken wir etwas Unerwartetes und Inspirierendes. Genau darin liegt auch die Herausforderung: den Prozess zu vertrauen und das Werk auf natürliche Weise entstehen zu lassen.
Rachelle: Weil sie unbestreitbar sind. Unser Leben bewegt sich ständig in Gegensätzen – zwischen Trauer und Liebe, Chaos und Stille, Licht und Schatten. Sie existieren nicht getrennt, sondern sind miteinander verwoben. «Vanishing Point» spielt mit diesem Zusammenspiel – mit Gewichtsverlagerungen, mit Körpern, die Widerstand leisten und nachgeben, mit Momenten der Klarheit, die sich auflösen, bevor sie vollständig erfasst werden können. Der Ausdruck liegt nicht in der Entscheidung für das eine oder das andere, sondern darin, beides gleichzeitig zuzulassen.
Marioenrico: Tänzer*innen erschaffen und zerstören durch ihre Bewegungen kinetische Bilder ihrer selbst, verlieren und finden sich immer wieder in einem unaufhörlichen Prozess der Selbsterschaffung. Sie verkörpern ein Bild der Natur, deren kreative Energien ständig zwischen Sein und Nichts, Leben und Tod, Licht und Dunkelheit fliessen. Gerade in diesem besonders sensiblen Moment der Bewegung zwischen den Gegensätzen, wenn das, was einst war, unweigerlich in das übergeht, was noch werden wird, gedeiht der Tanz als Metamorphose.
Marioenrico: Für mich ist jeder Schaffensprozess anders, und ich mag es, dass sie es sind. Manchmal beginne ich mit einer bestimmten Musik, die ich liebe, und schaue, wohin mich diese Melodie führt. Manchmal spiele ich mit Bewegungsqualitäten und meinem Körper, fast wie in einem Spiel ohne festes Ziel. Und manchmal beginnt alles mit einem Konzept oder einer Botschaft, über die ich das Publikum zum Nachdenken anregen möchte. Ich versuche, offen für verschiedene kreative Wege zu bleiben, ohne meinen ursprünglichen Antrieb zu verlieren, meine Leidenschaft für Bewegung und meine Ideen.
Rachelle: Ich starte mit einer Frage, einem Drang, etwas Ungeklärtes zu erforschen. Oft wird die Musik zur Atmosphäre, die das Werk trägt, Die Bewegung entsteht aus dem Instinkt heraus, aus der Art und Weise, wie eine Idee im Körper sitzt, bevor sie Form annimmt. Es geht darum, zuzuhören – dem, was gefühlt, aber noch nicht ausgesprochen ist. Die Tänzer*innen gestalten das Werk ebenso mit wie ich; ihre Interpretationen erweitern das Stück über das hinaus, was ich mir allein hätte vorstellen können. Der Prozess geht nicht um Kontrolle – es geht um Entdeckung.
Rachelle: Mich ständig der Unsicherheit zu stellen. Ich fühle mich zu Arbeiten hingezogen, die sich nicht festlegen, die sich immer weiter entfalten. Ich möchte Stücke schaffen, die nicht nur für einen Abend existieren, sondern im Körper, im Denken, in der Erinnerung nachhallen. Meine Vision ist es, Werke zu kreieren, die nicht nur das Publikum, sondern auch Künstler*innen in diesen Raum einladen – einen Raum, in dem die Erforschung niemals abgeschlossen ist und in dem die Fragen lange nach dem Ende der Bewegung lebendig bleiben.
Marioenrico: Ich möchte weiterhin Choreografien für Theater und Tanzcompagnien schaffen, gleichzeitig aber auch mein eigenes unabhängiges Projekt hier in der Schweiz starten. Tanz ist seit 17 Jahren meine Leidenschaft und mein Beruf, sowohl als Tänzer als auch als Choreograf, und ich hoffe, den Rest meines Lebens damit verbringen zu können, mich und meine Ideen durch Bewegung auszudrücken. Meine Kunst mit dem Publikum zu teilen, ist eine grosse Freude und ein Privileg, und Zeit mit anderen Tänzer*innen im Studio zu verbringen, ist meine Leidenschaft. Ich freue mich, sagen zu können, dass ich im nächsten Jahr zwei Projekte habe, eines davon im Rahmen von NEXT STEPS mit der Tanzkompanie St. Gallen. Aber eins nach dem anderen – jetzt erst Bern Ballett!
Steps steht für Stilvielfalt und hohe Qualität. Diversität sowie Inklusion spielen in unserem Programm zentrale Rollen. Wir greifen gesellschaftliche Themen auf und fördern innovatives Tanzschaffen. Das Festival kann dabei auch Impulsgeberin spielen: Zahlreiche Werke entstehen als Koproduktionen und werden im Rahmen der Biennale uraufgeführt.